Geht Marketing eigentlich auch kritisch?

Selbstverwaltete Unternehmensformen sind nur wenigen Menschen in Deutschland bekannt. Zugleich widerstrebt es vielen Arbeiter*innenkooperativen, sich offensiv zu vermarkten. Dabei bieten gerade Kollektivbetriebe Raum, Marketing demokratisch zu diskutieren und alternative Ansätze zu entwickeln.

Alexandra Reinig und Rupay Dahm, Berlin

Bei der Arbeit mit Kollektiven waren wir überrascht, wie häufig die interne Unternehmensdemokratie nach außen kaum sichtbarwar. Weder auf der Startseite der Webseite noch auf den Produkten war zu erkennen, dass es sich um einen selbstverwalteten Kollektivbetrieb handelt. Das Problem: Worüber nie geredet wird, das existiert in den Köpfen der Menschen auch nicht. In der öffentlichen Wahrnehmung sind Unternehmen stets hierarchisch geführt und häufig im Besitz von anonymen Investor*innen. Dass Mitarbeiter*innen keine Mitsprache haben und die Geschäftsführung das Dutzend- oder gar Hundertfache der untersten Lohngruppen verdient, gilt alsnormal. Um aber das, was als Normalität, als selbstverständlich gesehen wird, zu verändern, muss – in Anlehnung an den neo-marxistischen Denker Antonio Gramsci – eine Gegenhegemonie geschaffen werden. Selbstverwalteten Betrieben fällt dabei die Aufgabe zu, ihre Sichtbarkeit aktiv zu gestalten. Nur so kann ein größerer Transformationsprozess in Gang kommen und die betriebliche Selbstorganisation zu mehr als nur der eigenen Selbstverwirklichung dienen.

Mit der Zielgruppe interagieren

Viele Kollektivbetriebe zögern, sich offensiv zu verkaufen. Und das aus gutem Grund: Ziel des Marketings ist traditionell, dass Kunden*innen konsumieren. Keine Rolle spielt dabei, ob die Konsument*innen einen tatsächlichen Nutzen aus der Ware ziehen oder welche gesellschaftlich schädlichen Ergebnissen die angeheizten Konsumwünsche hervorbringen. Folglich ist es nötig, die Beeinflussung der Kaufentscheidung kritisch zu hinterfragen und das heißt zunächst einmal: Nicht zu der Zielgruppe zu sprechen, sondern mit ihr. Neben potenziellen Kund*innen gehören zwar auch mögliche künftige Mitarbeiter*innen oder Unterstützer*innen zur Zielgruppe. In keinem Fall sollte die Zielgruppe aber »alle« sein. Denn jedes Schild über der Ladentür oder Banner über der Homepage, zieht bestimmte Gruppen an und schreckt andere ab. Zunächst sollte sich das Kollektiv bewusst sein: Wer ist die Zielgruppe? Welches gemeinsame Problem verbindet sie?

Ein gutes Produkt ist die beste Werbung. Und doch muss die Zielgruppe erst einmal von dem Angebot erfahren. Wenn Kollektive bereits eine Gemeinschaft von potenziellen Kund*innen, Unterstützer*innen und Interessierten aufgebaut haben, ist das einfach: Mitglieder können direkt mit ihrer Zielgruppe kommunizieren, zum Beispiel über einen Newsletter. Bei Neugründungen besteht diese Möglichkeit meist nicht. Wie aber können Kollektive auf sich oder ihre Produkte aufmerksam machen, wenn nicht mit Werbeanzeigen Google, Facebook oder Microsoft in die so genannte Tasche gewirtschaftet werden soll? Besonders anfänglich sind selbstverwaltete Unternehmen auf die aktive Zusammenarbeit mit vorhandenen Institutionen, wie Presse und anderen Multiplikatoren, angewiesen.

Will ein Kollektiv aus der eigenen »Bubble« hinaustreten und andere Milieus erreichen, wird es spannend: Welche Kommunikationskanäle benutzen andere gesellschaftliche Schichten oder Altersgruppen? Wem folgen migrantische Gruppen in den sozialen Medien?

Positionieren statt verkaufen

Nur wenn andere verstehen, wo der selbstverwaltete Betrieb steht, werden Interessierte überhaupt die Webseite besuchen, den Newsletter abonnieren oder in einem Kollektiv-Laden einkaufen. Es geht also um Inhalt. Dieser dient Arbeiter*innenkooperativen weniger dazu zu verkaufen, als sich zu positionieren. Zunächst sollte deutlich kommuniziert werden, welches Problem das Kollektiv löst – konkret für die Kund*innen, aber auch gesellschaftlich. Inhalte, die in verständlicher Sprache verfasst und visuell aufbereitet sind, senken die Zugangsbarrieren. Außerdem bietet es sich an, die Kommunikation mit Geschichten und Bildern von Menschen anzureichern. So sind diese einprägsamer, weil es leichter fällt, uns mit anderen Menschen zu verbinden als mit einem abstrakten Produkt. Und Geschichten und Bilder bergen das Potenzial eine Gegenhegemonie zu schaffen. Zu einem kritischen Marketing-Ansatz gehört die Frage: Welches Bild von Arbeit, von (selbstverwalteter!) Wirtschaft wollen wir vermitteln? Wer sind die Held*innen in unseren Geschichten?

Mut, sich zu zeigen

In der Werbung werden allzu häufig klassische Geschlechterbilder reproduziert: der grauhaarige Geschäftsmann im Anzug oder die Frau, die jung, hübsch und ohne Behinderung in die Kamera lächelt. In der digitalen Welt sieht es ähnlich aus: Wir klicken auf die Webseite einer Werbeagentur oder einer Beratungsfirma auf den Reiter »Team« oder »Über uns« und finden meist die Gesichter der einzelnen Mitarbeiter*innen (meist mit Hochschulabschluss). Schauen wir uns hingegen die Webseiten von Reinigungsunternehmen an, findet wir dort häufig keine Gesichter der Mitarbeiter*innen, eher noch des Chefs (seltener der Chef*in). Zwei Klassen von sichtbaren und unsichtbaren Menschen entstehen. Ganz anders ist dies auf den Homepages von Arbeiter*innenkooperativen. Auf der Webseite der New Yorker Reinigungskooperative Up&Go lächeln die Mitarbeiter*innen etwas schüchtern: Sie sind keine professionellen Fotomodels. Auf den Webseiten der selbstverwalteten Industriebetriebe New Era aus den USA oder der Teefabrik Scop-Ti aus Frankreich gibt es Bilder der Fabrikarbeiter*innen: ungeschminkt. Dabei erfordert es von Menschen, die heute noch wenig sichtbar sind, eine Menge Mut sich zu zeigen. Eine Webseite kann in diesem Sinne ein kleines Werkzeug der Emanzipation sein, das Marginalisierte sichtbarer macht – selbstbewusst und auf Augenhöhe mit dem Rest der Welt.

Ein selbstverwalteter Betrieb kann seine Plattform zudem dazu nutzen, unternehmenspolitische Entscheidungen transparent zu machen und zur Diskussion zu stellen. Von dieser Möglichkeit machte jüngst Krautreporter, ein genossenschaftlich organisiertes Online-Magazin, Gebrauch und kritisierte: »Geschäftsführer […] sprechen nicht über Gehälter (aus Angst vor Neid), sie verraten keine Gewinnzahlen (aus Angst vor der Konkurrenz), sie erwähnen keine Schulden (aus Angst um den eigenen Job). Sie sagen lieber einfach: ›Ja ja, das Geschäft läuft gut‹.« Im selben Artikel bricht Krautreporter das Schweigen. Die FAZ (unverdächtig der alternativen Nische anzugehören) berichtete über die ungewöhnliche Offenheit. Kollektive können sich dazu entscheiden, ihre Unternehmensführung transparent zu machen und auf diese Weise sogar auf Unterstützung hoffen, wenn das Geschäft mal schrumpft. Insofern kann die Kommunikation von Werten und Vorstellungen dazu beitragen, sich vom Wachstumszwang zu befreien und zugleich in einem kapitalistischen System existieren zu können.

Alexandra Reinig ist freie Texterin, berät und gibt Workshops zur digitalen Kommunikation für selbstorganisierte Projekte. Link: www.alexandrareinig.de

Rupay Dahm berät als Anwalt Kollektivbetriebe und gibt Workshops zu Rechtsformen, Tools und Methoden der Selbstorganisation. Link: www.kollektivberatung.de

Links zu den genannten Kollektiven:

www.upandgo.coop
https://newerawindows.com
www.scop-ti.info

Titelbild: luckyfotostream / flickr.com

Das könnte für dich auch interessant sein.