Demokratisches Engagement muss gemeinnützig sein!

Dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac und dem Kampagnennetzwerk Campact wurden im Verlauf des letzten Jahres die Gemeinnützigkeit entzogen. Im Oktober folgte dann das soziokulturelle Zentrum DemoZ in Ludwigsburg und im November die Bundesvereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Die beiden Vereine protestieren gegen die Entscheide, die grundsätzliche Bedeutung für tausende Vereine haben. Eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ist überfällig.

Peter Streiff, Redaktion Stuttgart

Die Nachricht im Oktober kam für das Team des Demokratischen Zentrums (DemoZ) in Ludwigsburg (BW) völlig überraschend: Das lokale Finanzamt hatte dem Verein die Gemeinnützigkeit rückwirkend aberkannt. In seiner Begründung warf das Amt dem DemoZ vor, dass es sich politisch positioniere, beispielsweise durch kapitalismuskritische Veranstaltungen, die im Rahmen des Programms 2017 zu den Themen »Kapitalismus – was ist das und was können wir dagegen tun?« oder »Einführung in die Idee des Anarchismus« stattgefunden hatten.

Zudem kritisierte das Finanzamt, dass die Angebote des DemoZ nicht der Allgemeinheit dienen würden, schließlich seien rechtsextreme Menschen von den Veranstaltungen ausgeschlossen: »Gegenüber dem Anspruch, der ‚Volksbildung‘ und einer offenen demokratischen Diskussion zu dienen, ist laut Text neben dem Impressum festzustellen, dass der Verein DemoZ ausdrücklich auch Personen von seinen Veranstaltungen ausschließt«, so die Begründung des Finanzamts Ludwigsburg. Es berief sich dabei auf das kürzlich ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs zur Gemeinnützigkeit von Attac.

Politische Bildung

Das DemoZ kritisiert, dass sich das Finanzamt auf ein viel zu enges Verständnis von politischer Bildung beziehe: »Politische Bildung muss parteienunabhängig geschehen, aber nicht wertfrei und ohne Positionierung. Im Gegensatz, für uns zeigt die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung, dass Haltung zeigen mehr denn je gemeinnützig sein muss!«

Das DemoZ-Team hatte sich daraufhin entschieden, ihren Fall an die Öffentlichkeit zu bringen, um auf die existenzbedrohenden Konsequenzen aufmerksam zu machen, die die Anwendung des Attac-Urteils für viele kleine Vereine haben kann. Mit der Gemeinnützigkeit hatte das DemoZ auch den Anspruch auf die Fördermittel des Landes verloren. Über den Kultur-Zuschuss von der Stadt werde aktuell noch diskutiert.

Unterstützt wird das Zentrum dabei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte und der Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«. Für Stefan Diefenbach-Trommer von der Allianz zeige der Fall DemoZ, «dass es bei der Reform des Gemeinnützigkeitsrechts nicht um eine Lex Attac oder Campact geht, sondern dass tausende Vereine durch die Rechtsunklarheit bedroht sind.« Der Bundestag müsse Rechtssicherheit schaffen und die Lücke zwischen politischen Aufforderungen zu demokratischem Engagement und den rechtlichen Möglichkeiten für gemeinnützige Vereine schließen.

Fragwürdige Beurteilung des Verfassungsschutzes

Ebenfalls überrascht wurde die Bundesvereinigung der VVN-BdA durch den Bescheid des Berliner Finanzamts für Körperschaften, das am 4. November dessen Gemeinnützigkeit entzogen hatte. Damit verbunden waren zuerst existenzbedrohende Steuernachforderungen in fünfstelliger Höhe, die bis Ende des Jahres fällig gewesen wären. Mit Unterstützung eines Rechtsanwalts konnte dieser Bescheid Anfang Dezember vorerst ausgesetzt werden.

Begründet hatte das Finanzamt seinen Entscheid damit, dass die Landesvereinigung Bayern der VVN-BdA im bayrischen Verfassungsschutzbericht wiederholt als linksextremistisch beeinflusst dargestellt werde. Während jedoch das Finanzamt Oberhausen-Süd der Widerrede der VVN-BdA im Anhörungsverfahren entsprochen hatte, beharrte nun das Berliner darauf, dass »der volle Beweis des Gegenteils, als Widerlegung der Vermutung als extremistische Organisation« nicht erbracht worden sei.

Das bedeute, so die VVN-BdA, »dass die Bewertung durch eine nachgeordnete bayrische Landesbehörde, die laut bayrischem Gerichtshof keine Tatsachenbehauptung darstellt, demnach über das Schicksal einer bundesweit arbeitenden zivilgesellschaftlichen Organisation entscheiden dürfen soll«.

Lichtaktion am Bundesfinanzministerium Beide Fotos: VVN-BdA

Die Auschwitz-Überlebende und Ehrenvorsitzende des VVN-BdA, Esther Bejarano, empfindet den Finanzamts-Entscheid als »schwere Kränkung«. In einem offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz schreibt sie: »Wohin steuert die Bundesrepublik? – Das Haus brennt und Sie sperren die Feuerwehr aus!, wollen der größten und ältesten antifaschistischen Vereinigung im Land die Arbeit unmöglich machen?« Und sie erinnerte ihn daran, dass er ihr persönlich »als Ehrung für hervorragende Verdienste um das Gemeinwohl« das zweite Bundesverdienstkreuz überreicht hatte.

Auch die VVN-BdA machte den Finanzamts-Entscheid sowie verschiedene Reaktionen darauf öffentlich und erlebte »eine Welle der Solidarität, die alle bisherigen Vorstellungen gesprengt hat«. Denn neben einer täglich wachsenden Anzahl der UnterstützerInnen von Online-Petitionen und vieler solidarischer Organisationen aus einem breiten Spektrum sind innerhalb weniger Tage mehr als 1.000 Menschen als Mitglied beigetreten.

Unklare Gesetzeslage

Der Status der Gemeinnützigkeit einer Organisation werde in der Öffentlichkeit zwar oft als allgemeines Gütesiegel verstanden, er sei jedoch vor allem ein steuerrechtlicher Status, erläutert der Rechtsanwalt Peer Stolle. Seinen aktuellen Debattenbeitrag hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung Mitte November veröffentlicht. Stolle führt aus, dass mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit eines Vereins durch ein Finanzamt eine Vielzahl von steuerlichen und außersteuerlichen Vergünstigungen verbunden ist. So können Spenden von der Steuer abgesetzt werden. Der Verein könne unter anderem von der Zahlung der Körperschafts- und Umsatzsteuer freigestellt bzw. diese reduziert werden. Darüber hinaus sei der Status der Gemeinnützigkeit oft Voraussetzung, um durch die öffentliche Hand gefördert zu werden bzw. kostengünstigen oder freien Zugang zu kommunalen oder staatlichen Räumen zu bekommen.

»Gerade für kleinere, insbesondere ehrenamtlich betriebene Vereine ist die Anerkennung der Gemeinnützigkeit oft existenziell, da durch diese steuerlichen Vergünstigungen erst die Vereinsarbeit in finanzieller Hinsicht gewährleistet werden kann«, fasst Stolle die Situation zusammen.

Allerdings zeige sowohl der Katalog in der Abgabenordnung, der Grundlage für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ist, als auch die Auslegung durch die Finanzämter, dass es bisher »keine klare Tendenz gebe, was der Gesetzgeber unter Gemeinnützigkeit versteht«, so Stolle. Dies habe auch eine vor kurzem durchgeführte Studie belegt: »Bei einer Vielzahl von Finanzämtern wurden jeweils die gleichen drei fiktiven Vereinigungen angemeldet und beantragt, ihnen die Gemeinnützigkeit zu erteilen. Von etwa der Hälfte der Finanzämter wurde die Gemeinnützigkeit anerkannt; die anderen haben sie trotz gleichlautender Satzungen und Begründungen abgelehnt.«

Vor diesem Hintergrund sei eine Reform der aktuellen Gesetzeslage dringend notwendig, um die enorme Unsicherheit bei vielen Vereinen zu beseitigen, fordert Stolle. Hilfreich wäre »eine Erweiterung der Gemeinnützigkeitszwecke um beispielsweise Klimaschutz, Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung, Wahrnehmung und Verwirklichung von Grundrechten«. Es sollte ferner anerkannt werden, »dass die Äußerung zu (allgemein-)politischen Themen nicht der Gemeinnützigkeit entgegensteht, da eine Vereinstätigkeit fast zwangsläufig auch mit Äußerungen zu (allgemein-)politischen Themen verbunden« sei.

Ähnliches fordert auch die Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung«, die zudem kurzfristig eine Änderung der Abgabenordnung erreichen will, um die verbreitete Unsicherheit deutlich zu reduzieren.

Links:

www.zivilgesellschaft-ist-gemeinnuetzig.de
www.demoz-lb.de
www.vvn-bda.de
www.rosalux.de/news/id/41288/ist-demokratisches-engagement-gemeinnuetzig
www.openpetition.de/petition/online/die-vvn-bda-muss-gemeinnuetzig-bleiben-deutschland

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