Umgang mit Covid-19 bei Cecosesola

Die Covid-19-Pandemie hat die gesamte Welt unvorbereitet erwischt, an vielen Orten sehr angespannte Situationen geschaffen und viele Länder und ihre Bevölkerungen hart getroffen. Unter denen, die es extra schwer hatten, sind auch die Venezolaner*innen. Schon seit Jahren liegen in Venezuela Wirtschaft und öffentliche Infrastruktur brach. Die Kombination aus Misswirtschaft, Korruption, Wirtschaftssanktionen, Hyperinflation, Lebensmittelknappheit und zuletzt auch noch Treibstoffmangel schafft eine Situation, in der einem leicht jeder Optimismus und jede Lust an der Zukunft vergehen könnte. Bei Cecocesola wurde trotzdem weiter diskutiert, transformiert, gearbeitet und behandelt. Denn das Gesundheitsnetz ist ein wichtiger Pfeiler der kommunitären Dienste, die Cecocesola anbietet. Und dies ist nicht die erste Krise die Compañer@s haben in den vergangenen Jahrzehnten viel an ihrer Resilienz gearbeitet.

Birte Baumgarten (Projektewerkstatt auf Gegenseitigkeit) und Jorge Rath (Cecocesola)

Das Gesundheitssystem in Venezuela ist mehr als prekär aufgestellt. Sowohl Konsultationen als auch Operationen und Medikamente müssen von den Patient*innen selbst gezahlt werden. Die privaten Kliniken und Praxen verlangen dabei Preise, die für den Großteil der Venezolaner*innen unbezahlbar sind. Das öffentliche Gesundheitssystem ist aber leider auch keine nutzbare Alternative, die kostenlose Gesundheitsversorgung steht lediglich auf dem Papier. Angefangen bei den teils maroden Bauten fehlt es hier, wie überall sonst im Land auch, regelmäßig an Strom und Wasser sowie an Ersatzteilen für die medizinischen Geräte. Dazu kommt, dass die Korruption im Gesundheitssystem blüht wie die Kirschbäume im Frühling. Die Ärzt*innen und das Pflegepersonal bekommen den gesetzlichen Mindestlohn, der derzeit bei sechs bzw. fünf USD liegt. Das sind monatlich ca. 395 Dollar, weniger als nötig, um sich grundversorgen zu können.

Um sich und ihre Familien ernähren zu können, sind die Angestellten im öffentlichen Gesundheitssektor also darauf angewiesen, bei der Arbeit Nebeneinnahmen zu erfinden. Erleichtert wird das dadurch, dass das nötige Material zur Behandlung nicht von den Krankenhäusern bereit gestellt wird, sondern Patient*innen vom Wattebausch über Kanülen bis zur Prothese alles selbst kaufen und zur Behandlung mitbringen müssen. Diese Einkäufe werden dann häufig so organisiert, dass die behandelnden Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen von den Händler*innen Provision bekommen auf die Einkäufe ihrer Patient*innen. Wer sich die Kosten für Beratung und Verbrauchsmaterialien nicht leisten kann, bleibt krank und unbehandelt. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Wahrscheinlichkeit für viele Venezolaner*innen, an einem schweren Covid-Verlauf zu sterben, sehr hoch ist.

Die venezolanische Regierung hat in der Pandemie, wie viele andere Regierungen auch, Maßnahmen von oben erlassen. Die Maßnahmen werden hier aber kaum generell kritisiert. Dazu gehört unter anderem eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum und die Empfehlung zur »distancia chiva«, eine Ziegenlänge Abstand zu einander. In den ersten sechs Monaten der Pandemie galt zusätzlich die rigideste der hiesigen Maßnahmen, eine Ausgangssperre zwischen Mittag und Morgengrauen. Wie schon im September 2020 in der CONTRASTE beschrieben, wurde auch bei Cecocesola nach passenden Lösungen gesucht, um mit der neuen Lage umzugehen. Die staatlichen Vorgaben wurden nur eingehalten, wenn sie mit den Regeln der Vernunft übereinstimmten und ansonsten stillschweigend umgangen.

Einrichtungen bleiben offen

Nach einer kurzen Schockstarre zu Beginn der Pandemie im März 2020 gehen im Integralen Kooperativen Gesundheitszentrum (CICS – Centro Integral Cooperativo de Salud) und andernorts in Cecocesola die Debatten los. Alles schließen, um maximalen Schutz der Arbeitenden zu gewährleisten, die Dienste runterfahren auf ein Minimum, oder offen lassen? Schnell wird klar, komplett schließen ist keine Option. Denn das Selbstverständnis von Cecocesola in seiner Gesamtheit ist das der »Comunidad organizada«, also der organisierten Gemeinschaft/Gesellschaft, die ihre Dienste nicht etwa an irgendwelche anonymen Kund*innen verkauft. Die Compañer@s verstehen sich viel mehr als Teil der »Comunidad«, mit der sie die Gesundheitsleistungen, die Beerdigungen, die Lebensmittelmärkte organisieren. Das, was sie anbieten, ist also ein kommunitärer Dienst für alle, die Arbeiter*innen eingeschlossen. Und sehr viele Familien sind von den Märkten, Kooperativen und Angeboten abhängig. So wird bald gemeinsam entschieden, dass die Einrichtungen von Cecocesola weiter offen bleiben.

Ausgehend vom Standpunkt der Verantwortung und Solidarität wird auch schnell klar, dass alle auf Schutzmaßnahmen setzen, um sich und die Comunidad nicht mehr als nötig zu gefährden. Abstand halten, wo möglich, Verkleinerung von Treffen, dauerndes Hände Desinfizieren und immer bedingungsloses Maske tragen (auch draußen, auch mit den eigenen Compañer@s, auch bei 30°C) werden Normalität. In den Märkten arbeiten nun alle mit Masken, Handschuhen und Haarnetzen, »als Astronauten« sagen sie. Im CICS kommen noch Gesichtsschilde dazu. Alle Kooperativen passen jeweils für sich die nötigen Maßnahmen an die Gegebenheiten vor Ort an. Das Risiko für Ansteckungen, das trotz der verschiedenen Maßnahmen bleibt, nehmen sie in Kauf.

Eine eigene Covid-Station

Eine der vielen Herausforderungen, die sich Cecocesola stellt, ist die Frage nach der Quarantäne und Versorgung kranker Compañer@s. Sich zu Hause umfassend zu isolieren, ist für viele nicht möglich. Wenn ein*e Mitarbeiter*in so schwer krank wird, dass er*sie dauerhaft Pflege benötigt, dann bleiben eigentlich nur noch die staatlichen Einrichtungen, die schlecht funktionieren. Die Lösung liegt in der Umnutzung eines Gebäudes der Kooperative El Triunfo. Vor dem Bau des Integralen Gesundheitszentrums hatten sie dort auf zwei Etagen ärztliche Beratungen und Behandlungen angeboten. Seit dem Umzug in das kollektive Krankenhaus stand das Haus fast leer. Hier wurde eine Covid-Station eingerichtet, die fast zwei Jahre lang zur Verfügung stand, um erkrankte Compañer@s zu versorgen.

Vom Erdgeschoss aus versorgen die Krankenpfleger*innen aus den Gesundheits-Kooperativen die erkrankten und isolierten Compañer@s. Sie kochen für sie, begleiten sie, versorgen sie hier – wenn nötig sogar mit Sauerstoff. Im Laufe der Pandemie werden dort ca. 100 Menschen mit teils schweren Verläufen behandelt. Viele Venezolaner*innen haben Diabetes, ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf, davon sind auch die Mitarbeitenden der Kooperativen nicht ausgenommen. Manche erleiden unter der Infektion hier Nierenversagen, die meisten schaffen es wieder zu genesen. Aber nicht alle. Zwei Compañer@s sterben. Viele Mitarbeiter*innen der Kooperativen verlieren Angehörige. Die Pandemie schlägt hier spürbar stark ein und es scheint, dass innerhalb von Cecocesola sehr viele Leute jemanden kennen, der*die Angehörige verloren hat.

Nicht nur im Privaten, auch im kooperativen Gesundheitsnetz macht sich die Pandemie deutlich bemerkbar, aber der Kollaps bleibt aus. Im Integralen Gesundheitszentrum sind es vor allem die Röntgenabteilung und das Labor, die ständig einen starken Ansturm erleben. Um diesen zu händeln, wird umverteilt. Die Mitarbeiter*innen aus anderen Abteilungen, die die nötigen Fähigkeiten haben, wechseln ins Laborteam, in der Röntgenabteilung wird eine zweite Schicht eingeführt und es kommen neue Leute dazu, um an sechs Tagen in der Woche von 6.30 bis 17 Uhr Sprechzeiten anbieten zu können.

Ansonsten werden im CICS einige Abläufe umgestellt. Der Ansturm der Menschen wird so organisiert, dass sich möglichst wenig Menschenmengen bilden, ein neues System zur Terminvergabe entsteht, die Wartenden werden getrennt nach »potentielle Covid-Infektion« und »sonstige Anliegen« und der innenliegende Parkplatz der Mitarbeiter*innen wird umfunktioniert zum zweiten Wartebereich. Die wöchentlichen Plena werden verkürzt und verkleinert. Um sich dennoch genug austauschen, reflektieren und gemeinsam weiterbilden zu können, entsteht ein weiteres Plenum pro Woche. Auch in den anderen, dezentralen Gesundheitsstationen von Cecocesola, die über die Stadt Barquisimeto verteilt liegen, gibt es Veränderungen und Anpassungen. Im Großen und Ganzen aber geht es weiter. Immerhin sind hunderttausende Menschen auf die bezahlbaren, guten medizinischen Dienstleistungen angewiesen.

Fonds funktionieren stabil

Innerhalb des Kooperativennetzwerks existieren verschiedene Fonds für die Kosten der Gesundheitsbehandlungen, aus denen solidarisch umverteilt und verliehen wird, wenn irgendwer die anfallenden Kosten nicht aus eigener Tasche zahlen kann. Diese Fonds werden sowohl durch die regelmäßigen, selbstverwalteten Beiträge aller Beteiligten als auch durch diverse andere Aktivitäten wie Verkäufe von bestimmten Waren oder Tombolas wieder gefüllt. Entgegen der ersten Befürchtungen schaffen es auch diese Fonds ganz gut durch die Krise. Sie wurden viel gebraucht und beansprucht in den letzten zwei Jahren, es hat aber auch immer wieder funktioniert, sie durch gemeinsame Aktivitäten wieder zu füllen. So sind sie nach wie vor da, ausreichend gefüllt und scheinen stabil zu funktionieren.

Während der Staat von oben herab Maßnahmen verordnet, deren Ziel nur die Verhinderung von Infektionen ist und dabei zu teils stark einschränkenden Mitteln greift, die auch mittels Strafe durchgesetzt werden, versucht Cecocesola einen Weg zu finden zwischen Verantwortungsübernahme durch Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen, Verantwortungsübernahme für die Aufrechterhaltung der Grundversorgung, die die Kooperativen anbieten, und Verantwortungsübernahme für die Konsequenzen, die den Compañer@s aus dem erhöhten Infektionsrisiko im Rahmen der Arbeit entstehen. Und auch wenn einige Aktivitäten und Treffen ausfallen mussten, um all diesen Verantwortungen gerecht zu werden: Das Kooperativen-Netzwerk scheint ohne größere Schäden durch die Pandemie gekommen zu sein. Ohne spaltende Konflikte, ohne dass die Aktivitäten eingestellt werden, aber auch ohne dass die Compas das Risiko einer Infektion innerhalb ihrer Orte und Tätigkeiten leichtfertig in Kauf nehmen.

Titelbild: „Eine Ziegenlänge Abstand in den Schlangen, bitte!“ Grafik: Cecosesola

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