Schwerpunkt: Selbsthilfe verändert die Welt

»Ändere die Welt. Sie braucht es.« In einem seiner Gedichte brachte Bertolt Brecht seine Kritik am kapitalistischen Gesellschaftssystem in zwei kurzen, schlichten Sätzen auf den Punkt. Für die Sozialistischen Selbsthilfen in Köln und anderswo war dies stets Alltagsaufgabe.

Heinz Weinhausen, Redaktion Köln

Schon bei der Gründung des Vorläufervereins »Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln« (SSK) im Herbst 1969 hatten Mitglieder und Unterstützer*innen sich nichts weniger als die grundlegende Veränderung der Situation der kasernierten Heimkinder und -jugendlichen vorgenommen. Die Menschenrechte sollten auch für sie gelten. Unterstützt von engagierten Bürger*innen versteckte der SSK die Geflohenen und unterstützte sie nach Kräften. Er entwickelte das Konzept für ein Soforthilfe-Zentrum und forderte Staat und Politik auf, erstens dies umgehend zu finanzieren, zweitens das Heim- und Jugendrecht zu reformieren. In Direkten Aktionen wie der Besetzung des Büros des Oberbürgermeisters oder Hausbesetzungen für die obdachlosen Jugendlichen hielt er den Druck Jahr um Jahr aufrecht. Schließlich zogen Mitglieder in den Verbänden und in Parteien mit. Ein neues Gesetz kam, die »Schwarze Pädagogik« wurde verboten, die Heimerziehung reformiert.

Foto: Gernot Huber

Dieses war der erste Streich des SSK mit den ehemaligen SDS-Studenten Lothar Gothe und Rainer Kippe als Wortführern. Der zweite folgte nicht zugleich, sondern in den 1980er Jahren: Die Psychiatrie wurde reformiert, nachdem der SSK wiederum Jahr für Jahr nicht locker ließ und mit Anzeigen, Veröffentlichungen über Misstände und Todesfälle, Besetzungen von Psychiatriestationen das Thema schließlich hochkochte, bis dann die Parteien die Reform beschlossen.

Der dritte Streich lief parallel und hatte »nur« lokale Auswirkungen. Als in den 1970er Jahren die Stadtquartier-Sanierungen für Reiche in Köln anliefen, machte der SSK mit anderen Gruppen dagegen mobil. Häuser sollten für die kleinen Leute erhalten bleiben – heute würde man es »Kampf gegen Gentrifizierung« nennen. Durch Aktionen und Hausbesetzungen konnte einiges erreicht, etliches an Wohnraum gerettet werden. Allerdings konnte der »Zug der Zeit« nicht aufgehalten werden. So ist Sozialistische Selbsthilfe im Kampf um Wohnraum auch heute weiter aktiv: Die Köln-Mülheimer Gruppe setzt sich besonders für obdachlose ältere Frauen ein und besetzt mit ihnen Häuser.

Wenig spektakulär, aber doch gesellschaftlich tiefgreifender ist die Wandlung des Vereins SSK zur Sozialistischen Selbsthilfe. Sozial engagierte Menschen und verfolgte Heimjugendliche gründeten 1974 ihre gemeinsame Firma »Wir packen an«. Sie packten nicht nur Möbel bei Wohnungsauflösungen an, sondern auch ihr Lebensumfeld. Sie erkämpften sich günstigen Wohnraum durch Hausbesetzungen, lernten sich nach Kräften selbst zu versorgen und setzten sich zugleich für andere Ausgegrenzte ein. Das langjährige Bestehen von »Neuer Arbeit«-Selbsthilfe bis heute zeigt, dass selbstorganisierter Sozialismus mit jedermensch in kleinem Maßstab gelebt werden kann, keinesfalls – wie oft angenommen – der Führung durch eine Partei bedarf. Dies läßt auf einen großen Maßstab hoffen, auf dass die Konkurrenz-Marktwirtschaft mit ihren ewigen Versprechungen, die sie nie zu halten weiß, nicht nur fundamental kritisiert, sondern auch überwunden werden kann.


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