Für eine Technik, die sich anpasst

Das Kollektiv für angepasste Technik (KanTe) verbindet die Bereiche Umwelt, Technik, Mensch und Gesellschaft. Ob in theoretischen Seminaren, praktischen Workshops oder bei der Planung von Sanierungs- und Bauvorhaben – für die fünf Kollektivistinnen stehen Selbstorganisation, Empowerment und Herrschaftskritik immer im Vordergrund. Seit 2012 sind sie hauptsächlich in Berlin aktiv und sichern sich ökonomisch und sozial gegenseitig ab. Contraste-Redakteurin Regine Beyß sprach mit Maschinenbauerin Corinna über ihre Arbeit bei KanTe.

Was genau meint ihr mit »angepasster Technik«?

Wir sind der Meinung, dass Technik sich immer an die örtlichen Bedingungen anpassen sollte, also zum Beispiel an die Verfügbarkeit von Ressourcen, aber auch an die sozialen Begebenheiten, also zum Beispiel die Kompetenzen der Nutzer*innen. Wir wollen auch sichtbar machen, welchen Einfluss Technik auf die Umgebung hat.

Kannst du dafür ein Beispiel geben?

Ja, wenn wir eine Kompost-Toilette für einen Gemeinschaftsgarten bauen, dann schauen wir uns vorher dort um und suchen nach Materialien, die schon da sind und die wir nutzen können. Wir besprechen zusammen mit der Gruppe, welche Art von Toilette sinnvoll ist – es gibt da sehr viele unterschiedliche Varianten, je nachdem wie sie genutzt werden soll. Im Gegensatz zu anderen Betrieben verkaufen nicht einfach ein Standard-Konzept, das dann unter Umständen gar nicht benutzt wird, weil es für den konkren Anwendungsfall nicht passt.

Wie arbeitet euer Kollektiv? Wie kann ich mir den Arbeitsalltag vorstellen?

Wir sind im Moment fünf Leute und haben drei Arbeitsschwerpunkte: Bildung, Bauplanung und Ökoklo & Co. An einzelnen Projekten arbeiten wir meistens zu zweit. Bei unserem Plenum, das alle zwei Wochen stattfindet, tauschen wir uns über unsere aktuellen Projekte und auch soziale und private Themen aus. Wir sind selbstständig, wirtschaften aber zusammen, das heißt alle Einnahmen fließen zusammen und werden dann nach Bedarf verteilt.

Und funktioniert das gut?

Ja, bislang klappt das tatsächlich gut. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir eine ähnliche Vorstellung davon haben, was ein Bedarf ist und dass wir unsere Bedarfe gegenseitig transparent machen und nachvollziehen können. Manche von uns haben auch noch andere Einnahmequellen, um sich finanzieren zu können. Unsere ökonomische Situation ist stabil, wir waren noch nie in einer wirklich kritischen Lage – aber wir bewegen uns eher auf niedrigem Lohnniveau.

Prekär sind solche alternativen Arbeitsverhältnisse ja häufig. Wieso habt ihr euch denn trotzdem dafür entschieden, das KanTe-Kollektiv zu gründen? Wie kam es dazu?

Alle Gründungsmitglieder kannten sich vom Studium an der TU Berlin. Wir haben alle technische Studiengänge studiert und uns bei studentischen Projekten kennengelernt. Nach dem Studium hatten wir keine Lust auf normale Jobs, sondern wollten lieber in selbstorganisierten Strukturen arbeiten, die auch (umwelt-)politische Zusammenhänge miteinbeziehen und die technischen Komponenten mit sozialen Aspekten verbinden.

Was hat dich persönlich an den Jobs im technischen Bereich gestört?

Ich habe Maschinenbau studiert und die Jobsuche läuft in diesem Bereich meist über riesige Jobbörsen von großen Unternehmen, die ganz klar hierarchisch organisiert sind. Es geht darum, die Karriereleiter hochzuklettern. Außerdem gibt es in diesen Unternehmen so gut wie keine kritische Reflexion über die Konsequenzen ihrer Produkte und Dienstleistungen. Auch in den Bereichen Windkraft oder Solarenergie wird kapitalistisch und oft sexistisch gedacht und niemand fragt, was wir mit unseren technischen Anlagen vielleicht zerstören. Ich wollte mitbeeinflussen, was mein Betrieb macht und dafür sorgen, dass es nicht nur darum geht, Geld zu verdienen.

In einem Kollektiv werden alle Entscheidungen gemeinsam getroffen. War das für euch ausschlaggebend?

Ja, im Grunde schon. Hier können alle selbst bestimmen, wie sie ihren Beruf ausleben möchten. Wir können entscheiden, welche Projekte wir angehen und auf welche Weise. Außerdem spielt für uns der ökonomische und soziale Zusammenhalt eine wichtige Rolle. Im Moment sind wir nur Frauen, das finden wir ganz gut so.

Welche gesellschaftlichen Themen lasst ihr in eure Arbeit miteinfließen?

Bei unseren Workshops und Seminaren rund um Umwelt- und Technik-Bildung bringen wir immer auch Kapitalismuskritik unter und machen zum Beispiel deutlich, warum wir so genannte »grüne Technik« für nicht ausreichend halten, um den Klimawandel oder die Umweltzerstörung aufzuhalten.

Bei der Bauplanung versuchen wir bei der Gruppe ein Bewusstsein dafür zu schaffen, den Prozess selbstorganisiert und solidarisch zu gestalten. Auf so einer Baustelle lässt mensch oft andere Leute für sich arbeiten – und mensch kann dafür sorgen, dass sie das gerne tun. Hier in Berlin haben wir auch viel mit dem angespannten Wohnungsmarkt zu tun. Es gibt nur wenige Häuser, die Gruppen für ein Hausprojekt kaufen können und wenn, dann läuft es auf hohe Mieten hinaus, weil der Kaufpreis so hoch ist. Mit diesem Thema müssen wir uns wohl oder übel immer wieder beschäftigen.

Beim Ökoklo & Co-Schwerpunkt geht es um ein Umdenken im gesamtgesellschaftlichen Kontext. An die Kanalisation angeschlossene Toiletten verschwenden viel Wasser und andere Ressourcen, zudem werden die Fäkalien so behandelt, dass die Nährstoffe nicht mehr genutzt werden können. In dem Bereich braucht es aber tatsächlich andere Gesetze, denn Trockentoiletten sind im Moment noch eine rechtliche Grauzone. Deshalb arbeiten wir daran, wissenschaftliche Belege zu liefern, dass es hygienisch machbar ist, Toiletten ohne Wasser zu betreiben sowie daran, ein Netzwerk zur Organisierung der »Trockentoiletten-Szene« aufzubauen.

Wie kommt ihr an eure Aufträge?

Das ist sehr abhängig vom jeweiligen Arbeitsschwerpunkt. Im Bildungsbereich sind es oft öffentliche Auftraggeber, wenn wir zum Beispiel Workshops an Schulen geben. Im Bereich der Ökoklos arbeiten wir im Moment eng mit einer Forschungseinrichtung zusammen und versuchen uns ein größeres Netzwerk aufzubauen. Für konkrete Bau-Workshops werden wir meistens von Gemeinschaftsgärten angefragt. Und in der Bauplanung – das sind dann Projekte mit einer Laufzeit von ein bis zwei Jahren – beauftragen uns emanzipatorische Hausprojekte aus Berlin und dem Umland.

Könnt ihr eure Honorare solidarisch verhandeln?

Wir haben da nicht so viel Spielraum, weil wir ja finanziell über die Runden kommen müssen. Wenn wir im Bauplanungsschwerpunkt mit Gruppen zusammenarbeiten, die ein relativ kleines Budget haben, können wir die Leute dazu befähigen mehr und mehr selber zu machen, anstatt uns zu bezahlen. Generell setzen wir unsere Pauschale aber etwas höher an und reduzieren sie dann nach Möglichkeit, um auf der sicheren Seite zu sein. Manchmal wird der Aufwand eines Projekts nämlich erst im Laufe der Zeit sichtbar, wenn z.B. noch schwierige Gruppenprozesse hinzukommen. Wir sind auch dazu bereit, einen Teil unserer Zeitkapazitäten für Soliprojekte – also honorarfrei – zu nutzen. Im Bildungsschwerpunkt ist uns vor allem wichtig, Lohndumping und Selbstausbeutung entgegenzuwirken. Dazu hat das Moderator*innen-Kollektiv Stuhlkreisrevolte eine tolle Argumentationshilfe erstellt, an der wir uns orientieren.

Unterstützt ihr die Gruppen auch bei Konflikten?

Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir unterstützen natürlich bei allen Entscheidungen, die den Bau betreffen. Wir müssen uns dabei aber immer im Klaren sein, was unsere Rolle ist. Um schwelende Konflikte, die nur anhand der Bau-Entscheidungen ausgetragen werden, konstruktiv zu bearbeiten, sollte noch weitere Unterstützung ins Boot geholt werden. Unter Umständen muss der Bauplanungsprozess dann für eine Weile pausieren.

Das Kollektiv existiert jetzt seit sieben Jahren. Habt ihr das Gefühl, dass ihr euch inzwischen etabliert habt als Betrieb? Seid ihr ausgelastet mit Aufträgen?

Ja, im Grunde schon. Im Bereich Bauplanung könnten wir noch einen weiteren Auftrag gebrauchen. Hier dauern die Projekte ja immer etwas länger, daher nimmt auch die Etablierung, wie du es nennst, mehr Zeit in Anspruch. Ich glaube, wir könnten hier auch noch besser evaluieren und überlegen, wie wir mit Aufträgen umgehen und schneller mit der Gruppe eine gemeinsame Ebene finden.

In Berlin gibt es ja eine Vielzahl von Kollektivbetrieben. Hast du den Eindruck, dass wieder mehr Kollektive gegründet werden?

Ja, auf jeden Fall. Parallel zu der Startup-Euphorie wächst auch das Interesse an hierarchiearmer Selbstorganisation und -verwaltung. Wir bekommen viele Anfragen von Menschen, die bei uns mitmachen wollen, im Moment wollen wir aber nicht größer werden. Es wäre toll, wenn diese Menschen sich kennenlernen würden und eigene Kollektive gründen. Teilweise versuchen wir auch schon, die Einzelpersonen miteinander oder mit anderen Kollektivbetrieben zu vernetzen.

Seid ihr denn in engem Kontakt mit anderen Kollektiven?

Zum Einen sind wir Teil der Berliner Kollektivvernetzung. Wir treffen uns in der Regel einmal im Monat und tauschen uns aus. Manchmal organisieren wir auch gemeinsame Veranstaltungen, um das Arbeiten im Kollektiv sichtbarer zu machen, zum Beispiel bei der Wandelwoche Berlin-Brandenburg. Zum Anderen vernetzen wir uns mit anderen Baukollektiven, sowohl hier in Berlin als auch überregional. Besonders schön ist es, wenn wir dann auf einer Baustelle zusammen arbeiten.

Worüber tauscht ihr euch aus?

Es gibt einfach Themen, die sind so groß und so interessant, dass es sich lohnt, mit mehreren Leuten darüber nachzudenken. Wir wollen uns gern mit dem Thema Altersvorsorge beschäftigen. Wir denken, es ist wichtig darüber zu sprechen, weil wir oft prekär beschäftigt sind und keine Rücklagen bilden können. Dazu gehört auch die Frage: Was passiert, wenn eine*r ausfällt und längere Zeit nicht arbeiten kann? Eigentlich wollen wir das gerne auffangen – allerdings ohne den Staat an der Stelle vollends entlasten zu wollen. Es geht da ja um ein gesamtgesellschaftliches Thema.

Links: kante.info, www.kollektiv-betriebe.org

Fotos: KanTe

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