»Wir sind Träumer*innen«

Die indigene Bewegung im kolumbianischen Departamento Cauca (siehe Info-Kasten unten) baut an einer »eigenen Wirtschaft«: In der Hand der Gemeinden stärkt sie Selbstverwaltung und Bewegung und soll ein Weg aus ihrer stark benachteiligen Position und kapitalistischen Strukturen sein. Neben der Rückgewinnung und Vergemeinschaftung von Land gibt es viele Projekte, um alternative Wirtschaftsstrukturen aufzubauen.

Martin Mäusezahl, Hamburg

& Eliseth Peña, Popayán (Cauca)

Auf dem zentralen Platz von Poblazón wuseln rund 500 Menschen umher und tauschen Lebensmittel. In diesem »Resguardo« (Selbstverwaltungsgebiet) findet heute ein »trueque« statt. Dabei tauschen Kleinbäuer*innen verschiedener Klimazonen ihre Erzeugnisse direkt untereinander und ohne Geld. Die Tauschverhältnisse sind nicht festgelegt. »Der Tausch muss von beiden Seiten als gerecht empfunden werden«, erklärt Jaime Camacho, Organisator des trueque.

Vor rund 20 Jahren belebten die indigenen Gemeinden des Cauca eine alte Tradition neu. Der trueque ist dabei viel mehr als ein reiner Tauschhandel. Es ist ein »Austausch von Worten, Gedanken und Produkten, bei der die Gemeinschaft im Zentrum steht«, wie Olga Gurrute, die Gouverneurin von Poblazón, zur Eröffnung sagt. Kommunale Radios und Video-Kollektive berichten. Bands spielen, Schüler*innen haben das Theaterstück »Geschichte des trueque« vorbereitet. Es gibt einen Stand des eigenen Gesundheitsprogramms. Viele indigene Amtsträger*innen sind anwesend. Durch den trueque werde die Nahrungsmittelsouveränität der Gemeinden gestärkt, sagt die Vizegouverneurin Sandra Calambas. »Außerdem machen wir uns unabhängiger von der Macht des Zwischenhandels und der großen Unternehmen.«

Der Kampf um Land

Land(wirtschaft) ist die zentrale ökonomische Grundlage der indigenen, kleinbäuerlichen Gemeinden im Cauca. Ab den späten 1960ern begannen viele Gemeinden, die sich in der indigenen Bewegung organisierten, Land zu besetzen, auf dem sie vorher als Landpächter*innen Frohndienste für die Großgrundbesitzer ableisten mussten: Kraftvolle Landbesetzungen und andere Mobilisierungen führten zur legalen Rückgewinnung von immer mehr Land sowie dem Recht auf Selbstverwaltung. Bestehende Selbstverwaltungsgebiete wurden gestärkt und ausgeweitet, viele andere neu gegründet. In der Verfassung von 1991 wurde schließlich das Land der Resguardos als unveräußerliches kollektives Eigentum der Gemeinden festgeschrieben. Diese verteilten dann Parzellen zur kostenlosen Nutzung an die einzelnen Familien. »Für uns ist zentral, dass das Land als unser Produktionsmittel vor allem eine gesellschaftliche Funktion erfüllen muss«, sagt Fabio Avirama, Mitarbeiter der politischen Abteilung des CRIC. »Es ist ein zentraler Baustein unserer nachhaltigen, selbstversorgenden und selbstbestimmten Entwicklung.«

Doch trotz der Erfolge steht den indigenen Gemeinden weiterhin viel zu wenig Land zur Verfügung. Ein Großteil der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen gehört wenigen reichen Familien, die dort industriellen Zuckerrohr anbauen. Seit Jahren besetzen daher Aktivist*innen immer wieder Zuckerrohrfelder, bauen Lebensmittel für den Eigenbedarf an und wehren sich gegen die militärisch ausgerüstete Polizei, deren Angriffe bereits viele von ihnen das Leben gekostet hat.

Ein weiteres Problem für die indigenen Gemeinden ist, dass sie für ihre Erzeugnisse meist nur sehr wenig Geld erhalten. »Wir haben jetzt zwar Land, aber nun sind wir die Leibeigenen der Händler. Der Markt gibt uns keine Gewinnmöglichkeiten, er beutet uns aus. So kommen wir nie aus der wirtschaftlichen Not heraus«, berichtet der Kleinbauer Jesús Peña. Diese Abhängigkeit vom Markt spüren auch die Kaffeeproduzent*innen im Selbstverwaltungsgebiet Chimborazo. »Der Kaffeeanbau ist sehr harte Arbeit und was wir für den Anbau benötigen, wird immer teurer. Aber die Händler zahlen uns sehr wenig für unsere Ernte. Manchmal reicht es so gerade, nicht selten liegt der Verkaufspreis aber unter unseren Produktionskosten«, berichtet Abraham Guacheta.

Ana Berta Finscue und Carmensa Cuchillo vom Gemeinshaftsunternehmen Truchas Juan Tama im Selbstverwaltungsgebiet Tacueyó. Foto: Maritn Mäusezahl

Wenn vom Staat überhaupt etwas kommt, dann sind es Bergbau- oder Staudammprojekte. Diese lehnen die Selbstverwaltungsgebiete aber ab, denn sie zerstörten Land, Umwelt und Gesellschaft und hielten neokoloniale Ausbeutungsstrukturen aufrecht. Daher haben die Gemeinden mittlerweile eigene »Pläne für das Leben« entwickelt. Ziel ist ein gutes Leben für die Gemeinde als Ganzes. Unter anderem soll eine eigene Wirtschaft aufgebaut werden, die kommunale Prozesse sowie die Bewegung stärkt, statt Einzelne reich zu machen oder den erwirtschafteten Reichtum nach Außen fließen zu lassen.

Gemeinsam stärker

In diesem Kontext sind bereits viele konkrete Initiativen entstanden. Eine davon ist die Kaffeekooperative CENCOIC. In ihr sind rund 3.000 Familien aus 18 verschiedenen Selbstverwaltungsgebieten organisiert. Durch die Kooperative erhalten sie agrartechnische Unterstützung zur Verbesserung ihrer Erträge und erzielen höhere Preise. »Durch den solidarischen Zusammenschluss«, so die Kaffeebäuerin Dilma Velazco, «haben wir Dinge erreicht, die wir uns alleine nie erträumt hätten.«

Die Idee, gemeinsam stärker zu sein und mehr möglich zu machen, verfolgt auch der »Fondo Rotatorio«, eine solidarische Spar- und Kreditkasse im Selbstverwaltungsgebiet von Tacueyó. »Für indigene Kleinbäuer*innen ist es sehr schwer, bei Banken überhaupt an Kredite zu kommen. Und wenn, dann sind die Zinsen enorm hoch«, berichtet Addier Pilcue, der Koordinator des Fondo. Die von der Selbstverwaltung ins Leben gerufene Kasse vergibt Kredite an Bewohner*innen des Resguardos. Das Geld kommt von rund 2.000 Gemeindemitgliedern, die Spareinlagen beim Fondo haben. Während dafür im Vergleich recht hohe Sparzinsen gezahlt werden, liegen die Kreditzinsen bei unter einem Prozent. Pfändungen gibt es nicht. Sollte es mal Probleme bei der Rückzahlung geben, wird gemeinsam nach einer Lösung gesucht.

Beim Gemeinschaftsunternehmen »Truchas Juan Tama« in Tacueyó arbeiten 45 Mitarbeiter*innen in der Zucht und Weiterverarbeitung von Forellen. Wie alle Gemeinschaftsunternehmen ist es Eigentum der Gemeinde und wird von der Selbstverwaltung kontrolliert, an die auch etwaige Überschüsse gehen. »Das Unternehmen ist wirtschaftlich rentabel«, sagt Ana Berta Finscue, Koordinatorin der Weiterverarbeitungsanlage. »Es geht aber nicht vorrangig um den wirtschaftlichen Erfolg, sondern wichtige Ziele sind die gesellschaftlichen Effekte. Wir wollen möglichst viele Arbeitsstellen schaffen.« Wie vielen Betrieben in den indigenen Selbstverwaltungsgebieten geht es ihnen auch darum, eine Alternative zur Attraktivität von bewaffneten Gruppen und der Drogenwirtschaft zu schaffen, vor allem für junge Menschen.

Frauen tragen Verantwortung

Neben vielen Jugendlichen arbeiten auch viele Frauen im Betrieb. »Man sieht heute, dass sich etwas verändert hat. Vorher hatte man als Frau Angst davor, ein Amt oder gar die Leitung in einem Unternehmen zu übernehmen. Es war klar, dass können nur Männer machen«, stellt Ana Berta fest. »Früher haben wir Frauen auch schon einen wichtigen Beitrag geleistet. Jetzt tragen wir auch die formelle Verantwortung. Dadurch lernen wir und es macht uns stark.« Gleiches gilt auch für die Bewegung insgesamt: »Juan Tama zeigt: Wir als indigene Bewegung können unsere eigenen Betriebe aufbauen, wir können uns selbst Arbeitsplätze schaffen, unsere eigenen Lösungen finden – trotz der Marginalisierung und des bewaffneten Konflikts. Wir sind Träumer*innen, die glauben, dass wir so viel größere Sachen schaffen können.«

In vielen Selbstverwaltungsgebieten haben sich mittlerweile ähnliche Gemeinschaftsunternehmen gegründet: »Kwe’sx Arroz« produziert Reis, »Jugos Fxize« stellt Wasser und Fruchtsäfte her, im Selbstverwaltungsgebiet von Paez wird das Craft-Bier »Seen Ewa« gebraut. Die Zutaten kommen aus den Selbstverwaltungsgebieten. So auch beim Milchwarenbetrieb »Nasalac«, der entstand, um die Weiterverarbeitung der eigenen Rohprodukte selbst in die Hand zu nehmen. »Der dadurch erzeugte Mehrwert soll in unseren Gemeinden bleiben und für unsere Gemeinschaftsprozesse eingesetzt werden, statt bei den großen weiterverarbeitenden Unternehmen zu landen«, erklärt Nora Taquinas, Mitglied des Selbstverwaltungsrates von Tacueyó.

Für viele Gemeinschaftsunternehmen ist es jedoch schwierig, in den eigenen Strukturen oder gar außerhalb weitere Verbreitung zu gewinnen. Hier setzt das neue Projekt der Kaffeekooperative CENCOIC an. Seit Januar versucht dort eine neue Abteilung zusammen mit den Gemeinschaftsläden der Selbstverwaltungsgebiete, »den Absatz von Erzeugnissen aus der Bewegung innerhalb der Bewegung zu steigern«, wie Koordinator Manuel Bustos erklärt. Dazu wollen sie den Handel von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zwischen Resguardos und Produkten aus den Gemeinschaftsbetrieben organisieren und ausweiten. »Wenn es uns gelingt, dass wir mehr von unseren eigenen Leuten kaufen, dann bleibt mehr von unserem Geld in der Bewegung und stärkt sie statt große Konzerne, die uns ausbeuten. Das kommt am Ende allen zugute.«

Titelbild: Beim »trueque« im Selbstveraltungsgebiet Poblazón tauschen indigene Kleinbäuer*innen direkt und ohne Geld Erzeugnisse. Foto: Eliseth Peña


Die indigene Bewegung im Cauca

organisiert sich seit 1971 im »Consejo Regional Indígena del Cauca« (Indigener Regionalrat des Cauca, CRIC). Zentral war und ist für die Bewegung der Kampf gegen die kolonial-rassistische Ausgrenzung als Indigene sowie gegen die wirtschaftliche Ausbeutung als Kleinbäuer*innen. Dazu kommt die Selbstbehauptung im Konflikt zwischen Guerillas und kolumbianischem Staat, der mittlerweile von einem undurchsichtigen Drogenkrieg abgelöst wurde. Seit der Gründung des CRIC erkämpfte die indigene Bewegung trotz massiver Repression umfassende Selbstverwaltungs- und Landrechte sowie kulturelle Anerkennung. Die Bewegung organisiert sich aktuell in 126 indigenen Lokalverwaltungen (Cabildos Indigenas) und 94 rechtlich anerkannten indigenen Selbstverwaltungsgebieten (Resguardos Indigenas) mit etwa 264.000 Einwohner*innen und einer Fläche von circa 5.500 km2. In den Selbstverwaltungsgebieten organisieren die Menschen ihre Verwaltung, sowie Teile ihrer Bildung, Gesundheitsversorgung und Wirtschaft nach eigenen Vorstellungen und unter Beteiligung der gesamten Gemeinde. Die wiederbelebten indigenen Weltsichten, Sprachen und Gesellschaftsweisen bilden die Basis für den Zusammenhalt der Gemeinden und sind zentraler Kraftquell der Bewegung. Der CRIC ist aufgrund seine Organisiertheit und Kampfstärke zu einem Vorreiter für ganz Kolumbien geworden.

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