Thank you for the Music …und Tschüss!

Als die schwedische Pop-Gruppe ABBA einen Erfolg nach dem anderen feierte, fand ich die Musik trivial und für einen gesellschaftskritischen Menschen indiskutabel. Nachträglich gefallen mir einige Stücke ganz gut, und die Gruppe ist für mich inzwischen zu einer Heldentruppe geworden: Held*innen eines würdigen Endes. Sie verabschiedeten sich eines Tages von Bühne und Publikum und kehrten ins »normale« Leben zurück!

Ein seltener Fall und ganz im Gegensatz zu den vielen untoten Gespenstern wie Mick Jagger und den alt gewordenen Stones, die noch immer wie Jugendliche auf der Bühne herumzuspringen versuchen. Welche Kulturleistung: rechtzeitig aufhören zu können, nachdem man der Welt einige schöne Melodien oder gute Ideen geschenkt hat.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel – Illustration: Eva Sempere

Bei den technischen Erfinder*innen klappt das schon eher: Röntgen schenkte seine Erfindung der Menschheit und nervte sie nicht mit weiteren Überraschungen. Sauerbruch hingegen soll nach seiner genialen Erfindung der »pneumatischen Kammer« gegen Ende seines Lebens immer mehr Fehler gemacht haben, die für etliche Menschen tödlich endeten. In der Philosophiegeschichte ist es häufig so, dass Philosoph*innen, die eine gute Idee hatten, den Rest ihres Lebens damit verbrachten, diese gute Idee immer wieder durchzukauen und zu einem möglichst geschlossenen System bis in alle möglichen absurden Verästelungen hinein aufzublasen.

Warum schaffen es so wenig Menschen, ihren Zeitgenoss*innen eine gute Idee zu liefern und dann wieder bescheiden zurückzutreten und die Weiterarbeit der Gesellschaft und der Geschichte zu überlassen, die allemal in ihrer Schwarmintelligenz schlauer ist? Wie viele unlesbare Bücher, verschrobene und verabsolutierende Theorien wurden in die Welt gesetzt, weil Menschen sich mit ihrem einen großen Wurf nicht zufrieden geben konnten?

Zweifellos genial, wie etwa Leibniz die Logik der Neuzeit analysiert: Wie sie die Menschen voneinander isoliert und den gesellschaftlichen Zusammenhang zerreißt. Aber daraus ein so absurdes System wie seine Monadologie zu machen, wäre wirklich nicht nötig gewesen. Oder wenn Maturana erkennt, dass das Gehirn sich seine Realität konstruiert, dann muss er nicht gleich die ganze Welt zur Konstruktion erklären. Wilhelm Reichs Texte zur Sexualität waren mutig und aufklärend – mit seiner Orgonomie schließlich begab er sich selbst ins Abseits. Descartes war 1633 vorsichtiger: Sein groß angelegtes Werk über »die Welt« wurde erst viele Jahre nach seinem Tod veröffentlicht. Er hatte nicht nur Angst vor der Inquisition, sondern auch inhaltliche Skrupel. Und von Wittgenstein stammt das berühmte Zitat: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.«

Als Faustregel könnte vielleicht gelten: Jeder nur EIN Buch! Pro Dichter: EIN Werk! Pro Komponist: EINE Symphonie! Das hätte noch den heilsamen Nebeneffekt, dass jede Person, die eine gute Idee hat und sie der Menschheit schenken möchte, gründlicher darüber nachdenken müsste, wie sie damit umgeht.

Uli Frank

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