Das Reallabor »Tante LeMi«

Seit fünf Jahren arbeitet Lars Lange ehrenamtlich und gemeinnützig im Mönchengladbacher Unverpackt-Laden »Tante LeMi« mit. Was ihn motiviert und wie es läuft, darüber unterhielt sich CONTRASTE-Redakteurin Ariane Dettloff mit ihm.

CONTRASTE: Hallo Lars, du betreibst zusammen mit anderen einen speziellen Unverpackt-Laden in Mönchengladbach, »Tante LeMi« heißt er – ein Akronym aus »Lebensmittel«. Seit wann gibt es euch?

Lars Lange: Gegründet haben wir uns 2015 und im März 2016 haben wir den Laden eröffnet. Damit waren wir einer der ersten in Deutschland, noch vor Köln und Düsseldorf.

Wie viele gibt es hierzulande mittlerweile?

Laut Unverpackt-Verband sind es 430, und 295 sind in Planung. Sieben bis acht eröffnen im Moment pro Monat. Allerdings muss man sagen, dass die Coronakrise die Unverpackt-Läden ziemlich erwischt hat. Meine Motivation ist aber nicht primär der Unverpackt-Laden, sondern mir ist vorrangig wichtig, dass wir ein g e m e i n n ü t z i g er Laden sind, eine Art Reallabor, das zeigen möchte, dass Wirtschaft anders denkbar ist – am Beispiel eines Unverpackt-Ladens. Wobei das Unverpackte natürlich auch schon eine gute Auswirkung hat. Plastik ist ja nicht so ohne: Dieses Mikro-Plastik geht ganz elementar in unseren Körper und lähmt da die Zeugungsfähigkeit, die Fruchtbarkeit. Dennoch ist es so: Wenn die Leute mit ihrem SUV oder mit ihrem Auto kommen und dann im Unverpackt-Laden ein paar Gramm Plastik sparen, dann haben wir zwar etwas weniger Mikroplastik, aber die Gesamt-Ökobilanz ist immer noch deutlich negativer im Vergleich, als wenn sie die gleichen Bio-Produkte verpackt im Supermarkt in ihrer Nähe kaufen würden. Unsere Produkte sind alle bio, weil bio eine ganz entscheidende Rolle in der Ökobilanz spielt.

Die wirtschaftliche Lage der Unverpackt-Läden in Deutschland stellt sich im Moment nicht so rosig dar; sie haben deutlich Umsatzeinbrüche seit der Coronageschichte zu verkraften. Wir bei Tante LeMi haben jetzt nur noch etwa 70 Prozent der Umsätze des Vor-Corona-Niveaus. Das ist bei den anderen ähnlich, auch für viele durchaus existenzbedrohend. Es gibt also zwei Seiten: einerseits den Boom der Läden, auf der anderen Seite aber einen deutlichen Rückgang.

Ihr habt euch ja als Verein gegründet – warum?

Dabei geht es uns darum, Märkte durch Gemeinschaften zu ersetzen. Unser Verein »Eine Erde e.V.« hat bereits 900 Mitglieder. Bei uns sind die Leute verpflichtet, Mitglied zu werden. Allerdings ist die Barriere denkbar niedrig. Die Mitglieder können sich aussuchen, ob und wie viel Beitrag sie zahlen möchten, so dass wirklich jedem ermöglicht wird, bei uns sehr günstig Bio-Lebensmittel zu beziehen. Es darf aber nicht »bio« heißen, denn wir sind nicht bio-zertifiziert. Wir schreiben immer auf unsere Lebensmittel drauf, woher wir sie haben, von welchem Großhändler und welche Bio-Zertifizierung das Produkt hat, aber wir selbst sind nicht bio-zertifiziert und dürfen nicht sagen, dass wir Bio-Lebensmittel verkaufen, wir sagen stattdessen »organisch«. Der Begriff »Bio« ist geschützt.

Welchen Vorteil hat die juristische Form des Vereins?

Zum einen ist es kein privatwirtschaftliches Unternehmen. Uns geht es ja darum, zu zeigen, dass Wirtschaft anders funktionieren kann. Das kann ein Verein sehr gut ausdrücken. Und ein Verein ist einfach zu gründen, sehr niederschwellig und von vornherein demokratisch strukturiert.

Und ihr kooperiert mit einer Solawi, einer Solidarischen Landwirtschaft?

Ja, das Ganze soll auch als »Gemeinheit« verstanden werden, als Allmende. Und der Verein kommt dem Gemeinheitsgedanken am nächsten, dem Gedanken der Solidarischen Ökonomie.

Hier der Solawi Neuenhoven…

Genau, damit kooperieren wir dadurch, dass wir regelmäßig Werbung dafür machen. Lebensmittel liefern können die uns nicht, weil wir haben unseren wirtschaftlichen Betrieb innerhalb eines gemeinnützigen Vereins, bei der Solawi ist das aber ein Zweckbetrieb, das heißt die Solawi erfüllt mit dem Gemüseanbau unmittelbar ihren Satzungszweck. Das tun wir nicht. Unser Satzungszweck wird im Moment hauptsächlich durch die Veranstaltungsreihen erfüllt.

Ihr bekommt also nichts von denen geliefert?

Nein, das geht nicht – oder wir haben noch kein Schlupfloch gefunden, wie das gehen könnte. Es ist aber auch so, dass die ausschließlich Gemüse produzieren, und das einzige Gemüse, das wir haben, sind Kartoffeln. Da haben wir eine Kooperation mit dem ADFC, die holen uns mit Lastenrädern regelmäßig die Kartoffeln, die wir dann sehr günstig verkaufen können. Frisches Gemüse führen wir nicht, denn wir haben kaum Lagerraum und nur dreimal pro Woche geöffnet. Wir haben keine normalen Öffnungszeiten, weil wir alles ehrenamtlich machen.

Wie viele Menschen arbeiten denn bei euch mit?

Vor Corona waren es deutlich mehr, so etwa 30, jetzt sind es noch 15 von insgesamt 900 Mitgliedern. Die Mitarbeit ist nicht verpflichtend.

Ihr führt also hauptsächlich Dauerware, trockene Lebensmittel?

Genau, wir haben praktisch überhaupt keinen Lebensmittel-Müll. Wir müssen gar keine Lebensmittel wegschmeißen, selbst wenn Trockenware abläuft, verkaufen wir die weiter zum Normalpreis. Wir kennzeichnen das einfach: »Bohnen sind abgelaufen«, aber jeder weiß, dass getrocknete Bohnen 2.000 Jahre teilweise noch keimfähig sind! Unsere Mitglieder akzeptieren das auch.

Wie würdest du euer Publikum charakterisieren?

Es ist auf jeden Fall sehr weiblich und sehr weiß. Vom Alter her ist es sehr gemischt.

Und Mittelstand wahrscheinlich?

Eher nicht – es gibt noch einen privatwirtschaftlich organisierten Unverpackt-Laden hier für deren Bedürfnisse. Die haben jeden Tag geöffnet und führen auch so Chichi-Produkte, die wir gar nicht anbieten …

So etwas wie Chia-Samen zum Beispiel?

Ja genau – wir haben dafür dann halt getrocknete Erbsen. Das ist nicht so attraktiv. Wir arbeiten nicht Nachfrage-orientiert, sondern wir geben Produkte raus, die unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten ausgewählt wurden. Wir haben zum Beispiel bewusst unseren Kassenschlager Cashewkerne rausgenommen. Denn zum einen kommen sie von sehr weit her.

Wir schaffen es allerdings nicht, radikal lokal zu sein, weil es an Ehrenamtler*innen fehlt, um das umzusetzen. Wir bestellen hauptsächlich bei zwei, drei Großhändler*innen. Aber nach Möglichkeit halten wir unser Angebot frei von Dingen außerhalb von Europa – ein paar wenige Joker wie Kaffee oder Kokosraspeln für die asiatische Küche, aus denen man selbst Kokosmilch machen kann, und Tee haben wir auch.

Wir führen auch Gewürze – dabei achten wir darauf, dass alles von außerhalb Europas fair gehandelt ist. Cashews haben wir rausgenommen, auch weil es die Arbeiter*innen verletzt durch die Säure, die beim Schälen austritt. Wir geben ein Angebot vor, und wir haben auch durchaus Ladenhüter im Sortiment, weil wir denken: Ja, das ist ein wichtiges proteinhaltiges Lebensmittel wie zum Beispiel die getrockneten Erbsen.

Und sind eure Produkte alle vegan?

Ja, wir sind ein veganer Laden. Wir kehren das nicht groß nach außen, aber es steht tatsächlich bei uns in der Satzung drin.

Was sind die größten Vorteile, wenn man bei euch im Unverpackt-Laden einkauft?

Der große Vorteil für mich persönlich ist der sehr günstige Preis. Wir sind fraglos Preisführer in Mönchengladbach! Eigentlich muss man ja bei Unverpackt-Läden von »Umverpackt-Läden« sprechen. Denn die meisten Sachen kommen zwar wirklich in Papiertüten und in großen 20-Kilo-Gebinden. So spart man tatsächlich sehr viel Verpackungsmüll. Aber es fällt immer noch Müll an. Die kleinen Gebinde sind noch mal in größere Gebinde verpackt. Wenn man 500 Gramm von irgendwas kauft, sind diese Tüten oft in Kartons eingepackt und diese noch einmal in Kartons. Das heißt, man kommt nicht auf Zero Waste. Das ist sehr schwierig. Wir haben einen Anbieter, der Pfandgebinde anbietet – das können wir aber nicht machen, weil wir überhaupt keine Lagerflächen dafür haben. Uns fehlt auch die Man- und Womanpower, um die Gebinde dann zurückzuschicken, weil wir alles ehrenamtlich machen.

Welche Nachteile nimmt man in Kauf, wenn man bei euch einkauft?

Wir sind kein Vollsortimentler, das ist vielleicht ein Nachteil. Es wäre natürlich schön, wenn wir noch eine Auswahl an Gemüse und Obst hätten. Dafür sind wir zu klein…

Zahlt ihr Miete?

Nein, weil unser Vermieter uns die seit Beginn erlässt. Wir zahlen nur Nebenkosten.

Macht ihr Gewinne?

Ja, wir machen tatsächlich Gewinne, wobei wir die im Moment noch in die Ausstattung des Ladens stecken. Wir haben super günstig angefangen, und zwar mit nur sagenhaften 1.500 Euro. Damit haben wir die Ladenausstattung bestritten und die Lebensmittel eingekauft.

Wie war das möglich?

Wir haben einen 19 Jahre alten Computer, auf dem Linux läuft und haben uns eine Excel-Liste gebastelt, die konform ist mit dem Finanzamt. Also wir machen alles so günstig wie möglich, damit wir die Lebensmittel auch günstig anbieten können zum einen, und aber auch einen Gewinn erwirtschaften, damit wir unsere Satzungsziele erfüllen können.

Welche sind denn eure Satzungsziele?

Die Förderung eines ressourcenschonenden und ökologischen Lebensstils.

Dafür macht ihr auch Veranstaltungen?

Genau, den erfüllen wir in der Hauptsache durch Veranstaltungen, wobei wir weniger auf Probleme hinweisen, sondern eher Lösungen aufzeigen. Dazu laden wir Referent*innen ein, die Ideen für ein Leben nach dem Kapitalismus haben.

Welches war denn die letzte Veranstaltung?

Hans Widmer aus der Schweiz, der sich früher P.M. genannt hat.

Was hat er geboten?

Er hat über neue Lebensformen, über Kommunen letztendlich referiert, viel aus dem Nähkästchen geplaudert. Er hat ja selbst mehrere kommunitäre oder gemeinschaftsfreundliche, nachbarschaftliche Projekte in der Schweiz angestoßen. Er lebt selbst in der Bau- und Wohngenossenschaft »Kraftwerk 1«, einer ökosozialen Stadtkommune in Zürich.

Nennst du noch ein paar weitere Beispiele?

Gern. Nico Paech sprach über die Postwachstumsgesellschaft, Tobi Rosswog über »Wege aus dem Arbeitsblues«, Friederike Habermann über »Ausgetauscht! Warum gutes Leben für alle tauschlogikfrei sein muss«. Auch Mitglieder halten manchmal Vorträge. Es gab einen Workshop zur Herstellung von Sauerkraut, wir hatten ein historisches Thema über Konsumgenosssenschaften im 19. und 20. Jahrhundert…

Was sind für euch und den Verein Eine Erde e.V. besondere Herausforderungen?

Die große Herausforderung ist es, wie wir mehr Menschen gewinnen, die mitmachen, die das als Schatz ansehen für Mönchengladbach, die das Neue darin sehen, die auch die Chance darin sehen, unsere Gesellschaft zu verändern, die das als Reallabor sehen, als Keimzelle für etwas Neues, das größer werden kann.

Link: https://tantelemi.wordpress.com/

Titelbild: Ehrenamtlich und stolz auf´s Tante LeMi-Sortiment: Mitarbeiterin Barbara. Foto: Eine Erde e.V.

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