PAH: Betroffene empowern

»Sí, se puede!« (»Ja, es geht!«) – dieser Ausruf ist das Motto der spanischen Initiative Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH). Unter diesem Namen organisieren sich seit 2007 Betroffene der Hypothekenkrise. Viele kommen zuerst wegen der eigenen Notsituation, bleiben dann aber wegen der sozialen Beziehungen.

Anja Lenkeit und David Klässig, Köln

In der Bundesrepublik wohnen verhältnismäßig viele Menschen zur Miete, in anderen europäischen Ländern hat Wohneigentum einen viel höheren Stellenwert – so auch in Spanien. Jahrzehntelang wurde von Seiten der Regierung, gemeinsam mit dem Bankenwesen, gepredigt, wie wichtig und sinnvoll Immobilenbesitz sei. Anstatt sein Leben lang Miete zu zahlen, sei es besser, sich per Kredit Wohneigentum anzuschaffen. Nachdem der Kredit nebst Zinsen getilgt ist, lebt man in seiner eigenen sicheren Wertanlage. Denn kein Anlagemodell sei sicherer als Immobilien.

Durch dieses Mantra wurde Wohneigentum quasi zur gesellschaftlichen Norm: »Du bist erst jemand, wenn du eine Immobilie hast, das wurde uns immer vermittelt«, so ein PAH-Aktivist. Die Kombination aus gesellschaftlicher Norm und die viel zu laxe Kreditvergabe führten dazu, dass Menschen sich finanziell übernahmen. Ohne Menschen ihre Eigenverantwortlichkeit abzusprechen: Doch wenn seit den 1950er Jahren von der Politik der Wohnungskauf propagiert und Mieter*innen als gesellschaftliche Verlierer*innen dargestellt werden, die ihr Geld wegwerfen, und Banken versprechen, selbst wenn der Kredit nicht zurückgezahlt werden kann, dass immer noch die Möglichkeit bliebe, die Immobile gewinnbringend zu verkaufen, wird der Eindruck vermittelt, es gäbe kein Risiko.

Diese Mär wurde durch die Immobilien- bzw. Banken- und Wirtschaftskrise schonungslos dekonstruiert. Einhergehend mit Arbeitsplatzverlusten im Bausektor und durch die staatlichen Sparmaßnahmen auf Druck der EU (Rente, öffentlicher Dienst, Gehälter im Gesundheitssektor usw.) wurde der Traum vom Eigenheim zum Albtraum. Massenhaft konnten Menschen ihre Hypotheken nicht mehr bedienen und standen plötzlich vor dem Nichts. Viele junge Menschen müssen lange mit drei Generationen unter einem Dach leben.

Seit 2003 ist die Bewegung »W wie wohnen« aktiv. Anstatt aus der finanziellen Deprivation auch eine soziale werden zu lassen, organisierten sich einige dieser Personen und schufen 2007 in Barcelona die Plattform für Betroffene der Hypothekenkrise (PAH). Diese ist parteiunabhängig und ideologieunabhängig, nicht fremdfinanziert und wird durch reines Ehrenamt von (in)direkt Betroffenen vom »Betrug der Hypothekenbanken« organisiert. Sie ist hierarchiefrei, sodass es keine Expert*innen gibt, die individuell beraten, sondern ein offenes wöchentliches Plenum, bei dem auf der einen Seite durch Mehrheitsentscheidungen verbindliche Entscheidungen getroffen werden und bei dem auf der anderen Seite Betroffene berichten und (in)direkt Betroffene ihre Erfahrungen mitteilen, sodass jede*r empowert wird, den Kampf für den Wohnraum selbst durchzuführen.

Die Rollen in der Gruppe werden möglichst gewechselt, damit sich nicht Wenige freiwillig selbst ausbeuten und nicht mehr mitarbeiten können. Natürlich gibt es hierbei die Unterstützung aus der Gruppe, die durch kollektive Besetzungen des von Banken beschlagnahmten Wohnraums (der mit öffentlichen Geldern gerettet wurde und somit eigentlich sowieso der Öffentlichkeit zustehen würde), Anwesenheit bei dem Versuch der Zwangsräumung oder Besetzungen von Bankfilialen mit dem Ziel des Dialogs über einen Schuldenerlass präsent sind und physisch und psychisch helfen, Betroffene aus der Ohnmacht in die Selbstermächtigung zu bringen und ihnen die zugeschriebene Schuld auszureden.

In Spanien haben so über 3.000 Personen durch Hausbesetzungen eine Unterkunft. Die Hausbesetzungen werden für Familien durchgeführt und sind kein rein ideologisches Projekt: Es wurden 500.000 Zwangsräumungen durchgeführt, obwohl 3,5 Mio. Wohnungen leerstanden, sodass 2 Mio. Menschen auf der Straße standen. (250.000 wegen ausstehender Mieten, welche im Übrigen in Barcelona um 10 Prozent gestiegen sind, wobei nur ein Prozent dem öffentlichen Wohnungsbau zugehörig ist). Einen Mieterschutzverein, eine Mietpreisbremse oder ein Miethäusersyndikat gibt es in Spanien noch nicht. Auch nach einer Zwangsversteigerung behalten die Betroffenen die Schulden, eine langfristige Privatinsolvenz wie in Deutschland existiert nicht, obwohl das spanische Immobiliengesetz vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt wurde.

Die Banken versuchen die Hausbesetzer*innen zu kriminalisieren, doch sie wollen keine schlechte PR. Die PAH hat in Kooperation mit dem Medienkollektiv Enmedio öffentlichkeitswirksame Aktionen organisiert, wie das Anbringen von großen Porträts von Betroffenen an Bankfilialen, Flashmobs in Bankfilialen oder die Aktion »Ich werde niemals in meinem Scheißleben eine eigene Wohnung haben«. Durch die transparente Arbeit hat die PAH, die immer gewaltfrei agiert, einen sehr hohen Zuspruch innerhalb der spanischen Bevölkerung. Diese Zustimmung ist wichtig, um Druck auf die Banken und die Politik auszuüben.

Neben direkten Aktionen arbeiten sie Gesetzesvorschläge und konkrete Änderungsmöglichkeiten aus, beispielsweise über das Verbot von Strom- und Wassersperren (Stichwort Energiearmut), dem im Autonomieparlament Kataloniens zugestimmt wurde, das aber im Nationalparlament Spaniens wieder gekippt wurde. Zudem führen sie eigene Statistiken über Wohnungsleerstand und bilden Netzwerke.

Auch die PAH Madrid hat Gesetzes­entwürfe im autonomen Parlament eingereicht. Obwohl in Madrid und Barcelona zeitweise Bürgermeister*innen aus linken Wahlbündnissen (Ahora Madrid, Barcelona en comu) regierten, fühlen sich die Betroffenen nicht ausreichend vertreten. In Barcelona gibt es mittlerweile Mediator*innen bei der Polizei, und es dürfen keine neuen Hotels gebaut werden, da Wohnraum fehlt und der Massentourismus ein Problem für die Bevölkerung darstellt. Mittlerweile haben die Banken zu Gegenmaßnahmen gegriffen und bedienen sich vermehrt einer intransparenten, im Dunstkreis spanischer Faschisten rekrutierenden Räumungsfirma (Desokupa), die gewaltvoll vorgeht, um Privatwohnungen zu räumen, sodass Obdachlosigkeit und Unsicherheit wieder zunehmen.

Fotos: Lenkeit/Klässig


Wir lernen reisend

Anja Lenkeit und David Klässig sind Sozialwissenschaftler*innen, die im Zuge mehrerer Forschungsreisen selbstorganisierte Projekte in Griechenland und Spanien besucht haben. Das Ziel war es, mit den Beteiligten über die Themen Soziale Bewegungen, Selbstorganisation und Institutionalisierung zu sprechen, um sich ein eigenes, ungefiltertes Bild zu verschaffen. Im Sinne der Projekte und der dahinterstehenden Philosophien sind sie zu dem Schluss gekommen, dass sie diese für alle interessierten Personen zugänglich machen möch­ten. Jeden Monat stellen sie in der CONTRASTE eines der Projekte vor.

Mehr auf ihrem Blog unter: www.wirlernenreisend.wordpress.com

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