Die Hochschule von morgen aufbauen

Im Land der DGB-Einheitsgewerkschaft stößt die Gründung einer neuen, unabhängigen Gewerkschaft fast schon reflexartig auf Verwunderung oder gar Widerstand. Dabei ist unter_bau keineswegs das Produkt einer leichtfertigen Entscheidung, sondern Ergebnis eines langwierigen Prozesses in der Organisierung von prekären Interessen an der Goethe-Universität Frankfurt.

Michael Pollok, unter_bau

Die Erfahrung von vielen, seit Jahren aktiven Gewerkschafter*innen, die versucht haben, innerhalb und mit den DGB-Gewerkschaften bessere Studien- und Arbeitsbedingungen an der Universität durchzusetzen, war eher – gemischt. Man konnte den berechtigten Eindruck gewinnen, dass die an der Universität bereits vertretenen Gewerkschaften nicht in der Lage waren, gerade diejenigen zu erreichen, die besonders von Ausbeutung gefährdet waren. Gutes Beispiel dafür ist die Forderung von Hilfskräften nach einer Aufnahme in den Haustarifvertrag der Goethe-Universität Frankfurt sowie die Etablierung einer Personalvertretung. In den Tarifverhandlungen wurde diese Forderung trotz zeitweise hohem Mobilisierungsgrad schnell als Verhandlungsmasse unter den Tisch fallen gelassen.

Das Ergebnis einer grundlegenden Analyse dieser unsolidarischen Gewerkschaftspraxis war die Gründung einer ganz neuen Initiative, nicht in Konkurrenz, sondern als Ergänzung zum gewerkschaftlichen Angebot auf dem Campus. Die Idee war, die Besonderheiten im Hochschulbetrieb grundlegend zu berücksichtigen und alle Angehörigen der Universität ohne Personalverfügung die Möglichkeit zu geben, sich als Basis zu organisieren, statusgruppenübergreifend Forderungen zu formulieren und diese an intelligenten Druckpunkten, mit gewerkschaftlichen Mitteln durchzusetzen. Mitgedacht werden sollten nicht nur ökonomische, sondern auch politische und insbesondere feministische Forderungen.

Sich als Minderheitengewerkschaft zu konstituieren ermöglicht es, verborgene Kräfte sichtbar zu machen, eigenständig zu handeln, Impulse zu setzen und Dynamiken zu schaffen, die letztlich auch die etablierten Gewerkschaften befruchten können. Die Idee unter_bau war geboren. Im nächsten – und gerade auch noch aktuellen – Schritt geht es darum, die für eine solche Gewerkschaft wichtigen Strukturen aufzubauen und zu verstetigen.

Probleme an den Hochschulen

Es wird als notwendig angesehen, eine solche komplexe Organisation aufzubauen, denn Gründe dafür gibt es genügend an der Hochschule: Die drängendsten Probleme betreffen einerseits das Lohnniveau und kurze Vertragslaufzeiten, aber auch die allgemeine, hierarchische Organisation. Auf die Uni Frankfurt bezogen, sind Hilfskräfte nach wie vor tariflich nicht integriert und arbeitsrechtlich in einer Grauzone; wissenschaftliche Mitarbeiter*innen leiden unter ständiger Befristungspraxis, die eine mittel- oder langfristige Lebensplanung unmöglich macht; immer mehr wichtige Infrastrukturaufgaben werden ausgelagert und damit weitere Spaltungen unter den Angestellten geschaffen; unter dem mangelnden Lehrangebot leiden nicht nur die Dozent*innen, die viel kompensieren müssen, sondern auch die Studierenden; diese wiederum können häufig nicht das Studium mit ihren prekären Arbeits- und Lebensbedingungen in Einklang bringen; geschlechtsspezifische Ausschlussmechanismen und Arbeitsteilung führen zu einer männlichen Vorherrschaft auf den oberen Hierarchieebenen und ungleicher Bezahlung. Die Liste ließe sich noch ewig weiterführen. Ganz grundsätzlich gilt, dass der Zugang zu akademischer Bildung strukturell beschränkt ist und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen ausschließt. Ziel muss sein, Entscheidungsstrukturen an der Hochschule so zu verändern, dass alle Statusgruppen, entsprechend ihrer realen Größe, mitbestimmen und ihre Interessen geltend machen können. Wie soll das durch die unter_bau Gewerkschaft ermöglicht werden?

Frauen*kampftag

Selbstverwaltete Strukuten

Bei unter_bau können Organisationsstrukturen für zwei Dimensionen der Arbeit gegründet werden. Zum einen Assoziationen, das sind autonome Teilgewerkschaften für die Status- und Beschäftigungsgruppen, mit denen sie ihre spezifischen Interessen artikulieren können. Zum anderen Sektionen, das sind hochschulpolitische Organe, in denen die Mitglieder unabhängig von ihrer Gruppenzugehörigkeit die politischen Probleme der Hochschule angehen können. Zudem gibt es mit der Vollversammlung der Frauen* ein Basisgremium, das sich um die Vertretung der spezifischen politischen und wirtschaftlichen Interessen der Frauen* bei unter_bau kümmert. All diese Einheiten können sich durch eigene Vollversammlungen und Sekretariate selbstverwalten. Wichtige Entscheidungen werden auf einem jährlichen Kongress getroffen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass unter_bau stets »work in progress« ist. Das heißt, es wird stetig an der Ausdifferenzierung der Organisationsstruktur gearbeitet. So soll ein rätedemokratisches Gegenbild zu der jetzigen Hochschule geschaffen werden, das der Komplexität einer so großen Einrichtung gerecht wird und schrittweise an die Stelle der jetzigen Hochschulordnung treten kann.

Momentan gibt es im unter_bau eine allgemeine Assoziation, die alle Status- und Beschäftigungsgruppen umfasst. So genannte Plattformen bereiten die Einrichtung von weiteren Assoziationen vor. Drei solcher Plattformen sind im unter_bau aktiv. Dazu gehören die Hilfskräfte und Studis (Hudis), Promovierende und Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen sowie Lehrbeauftragte (Promis) und administrative und technische Mitarbeiter*innen (ATMs). Die Plattformen sind zentrale Anlaufstelle für alle Interessierten. Die allgemeine Koordination des unter_bau übernehmen dabei die Sekretariate der allgemeinen Assoziation, die zum Beispiel Mitgliederverwaltung, die Organisierung von Basisgruppen oder die Öffentlichkeitsarbeit koordiniert. Die mandatierten Sekretäre führen vor allem Beschlüsse der Basis aus und agieren frei, im Sinne von regelmäßig aktualisierten Handlungsrichtlinien.

Entlastung der Mitglieder

Ergänzt wird die Arbeit der Plattformen und Sekretariate von diversen AGs, die zum Beispiel statusgruppenübergreifende Forderungen aufstellen oder Veranstaltungen planen. Auch wenn die Struktur erst einmal komplex klingen mag, gibt es diverse, niedrigschwellige Möglichkeiten, bei unter_bau einzusteigen. Das ist wichtig, denn was diese Struktur bringen soll, ist neben einer Verstetigung der Organisierung von Interessen, vor allem eine Entlastung der Mitglieder die als Basis, neben der Studien- und Arbeitsbelastung, diese Interessen durchsetzen wollen. Um sämtlichen Ansprüchen und Anforderungen an eine solche Organisation gerecht zu werden, bietet unter_bau in regelmäßigen Abständen Fortbildungen an und ist darauf bedacht, Wissen weiterzugeben sowie Mitgliedern zu ermöglichen, in jeder Arbeits-, Studien- und Lebenslage einen Beitrag für die Transformation der Hochschule zu leisten. Die Struktur ist darüber hinaus ein Garant dafür, dass geleistetes Engagement nicht verloren geht, auch nachdem man die Hochschule verlassen hat, sei es weil das Studium zu Ende ist oder man eine andere Beschäftigung hat.

Es gilt nun, den Organisierungsvorschlag, als Gewerkschaft im Aufbau, nachhaltig zu verstetigen. Und das bedeutet viel Arbeit über einen langen Zeitraum. Doch es gibt gute Gründe, die zeigen, dass sich diese Arbeit lohnt, für alle Beteiligten. Es geht nämlich immer auch darum, sich fortzubilden, neue Strukturen im eigenen Arbeits- und Lebenskontext zu erproben und zu etablieren. In der Form, der Art und Weise, wie gemeinsam an einer Hochschule von morgen gebaut wird, wird bereits eine Vorstellung davon praktiziert, wie eine bessere Universität aussehen könnte. Die Organisation soll nicht nur Interessens-, sondern Transformationsorganisation sein.

Durch die Zusammenführung und Ausweitung von Kämpfen soll Fahrt aufgenommen werden, um eine grundlegende Neuordnung der Hochschule herbeizuführen. Das Ziel ist eine soziale Hochschule in basisdemokratischer Selbstverwaltung, die Angehörigen der Universität sollen gleichberechtigt entscheiden und ihr Profil nicht von wirtschaftlichen Interessen bestimmt sein. Dies erfordert eine Gewerkschaftspolitik, die Tageskampf und grundlegende Veränderung stets zusammen denkt. Unter_bau ist also keine Generalprobe, sondern bereits die Blaupause der Transformation. Das wird darunter verstanden, wenn gesagt wird, dass am Puls der Zeit die Hochschule von morgen gebaut wird.

Link: https://unterbau.org

Fotos: unter_bau

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