Arbeit und Erwerb

Wir sind pensionierte Beamt*innen und sitzen donnerstags gerne in unserer Stammkneipe. Neulich äußerte sich die Runde mal wieder abfällig über die misslungene »Hartz IV-Reform«. Wir kommen auf unsere Freundin Helga zu sprechen, die Hartz IV in Anspruch nimmt, eine entsprechende kleine Wohnung bewohnt – aber selten zu Hause ist.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel
Illustration: Eva Sempere

Tatsächlich bemüht sie sich schon seit Jahrzehnten nicht um eine Arbeitsstelle und erzählt jedem, der es hören will, wie froh sie sei, dass sie keine Erwerbsarbeit leisten müsse. Aber sie ist unglaublich busy, arbeitet den ganzen Tag im Haushalt, renoviert Häuser, pflegt Gärten, informiert sich über alles Mögliche und hat auch schon verschiedene Fortbildungen erfolgreich gemacht. Sie kümmert sich um die Sterilisation von Straßentieren, arbeitet als private Reiseführerin und Beraterin für Wohnungseinrichtungen, weil sie Architektur studiert hat – aber sie meidet jegliche Erwerbsarbeit. Damit trägt sie tatsächlich nichts zum monetär definierten Sozialprodukt bei – aber volkswirtschaftlich leistet sie Enormes. Ich kenne kaum jemand, der so ausdauernd fleißig ist wie sie.

Leider rege ich mich sofort auf, als Astrid als aktive und gut informierte Gewerkschafterin süffisant fragt, ob es nicht unfair sei, dass sie als Lehrerin gesellschaftlich wichtige Arbeit geleistet habe und solche Leute mit durchziehen müsse. Mich interessiert schon lange nicht mehr, ob jemand Arbeitslohn bekommt und wie viel, sondern was ein Mensch konkret für andere tut. Ich habe mir völlig abgewöhnt, diese Leistung mit der herrschenden Geldlogik in Verbindung zu bringen.

Aber es müsse doch irgendeine Instanz geben, die die Leistung der Menschen in irgendeiner Form bewertet und sanktioniert, höre ich immer wieder. Aber was ist von einem Wirtschaftssystem zu halten, das über die Hälfte aller gesellschaftlich relevanten Tätigkeiten ökonomisch überhaupt nicht registriert? Na klar, das sei ein Mangel und müsse geändert werden: die Care Economy müsse natürlich bezahlt werden! Ich frage, ob sie tatsächlich alle Tätigkeiten und Leistungen aus Liebe, Freundschaft, Begeisterung, Verantwortung, Freude, als Geschenk, als religiöse Verpflichtung, als spontane Hilfe usw. finanziell bewertet und bezahlt wissen wollen.

Offenbar ist es gar nicht so einfach, zu beschreiben, was Arbeit und Leistung ist. Die »Glücklichen Arbeitslosen« in Berlin zum Beispiel argumentieren, dass sie eine positive gesellschaftliche Leistung erbringen, indem sie niemandem den Arbeitsplatz wegnehmen und sich ihren Lebenssinn woanders suchen.Und dann gibt es noch den Schaden, den die Fleißigen anrichten können. Ein Bekannter von mir war Betriebsrat in einer großen Druckerei, die besonders bunte und glänzende Prospekte herstellt. Er sagte mir, dass die Belegschaft regelrecht darunter leide, dass ihre Hochglanzprodukte fast zu 100 Prozent im Papierkorb landen und dann noch mühsam aufgearbeitet werden müssen, damit sie nicht das Grundwasser verseuchen.

Und wie ist das mit der Leistung bei uns Beamt*innen? Wir bekommen unser Geld schon am Monatsersten – also bevor wir überhaupt zu arbeiten angefangen haben … ein empfehlenswertes Konzept für alle!

Uli Frank

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