35 Jahre CONTRASTE

Wer wäre besser geeignet, unseren Leser*innen aus Anlass unseres Jubiläums etwas über die CONTRASTE-Geschichte zu erzählen als unser »dienstältester« Redakteur Burghard Flieger? Die Fragen stellten ihm »Mit-Urgestein« Ariane Dettloff und unsere Heft-Koordinatorin Regine Beyß, zugleich jüngstes Mitglied der Redaktion.

Warum und von wem wurde die CONTRASTE vor 35 Jahren gegründet?

Wer damals im Einzelnen mit dabei war, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall ging die Initiative u.a. von Mitgliedern der Arbeiterselbsthilfe (ASH) Frankfurt aus, in dieser Zeit bundesweit einer der aktivsten und erfolgreichsten Selbstverwaltungsbetriebe. Dieter Poschen, viele Jahre wichtigster »Macher« der CONTRASTE, war mit seinem Freund Kurt Regenauer auch schon dabei. Die Zeitung hieß damals noch Wandelsblatt. Die Doppeldeutigkeit zu Handelsblatt und die Betonung des Wandels im Namen war gewollt, führte aber zu einer Unterlassungsklage seitens des Handelsblatts, der ohne Prozess aus finanziellen Gründen stattgegeben wurde.

Ort der Ideenschmiede war das Sommerseminar Alternative Ökonomie in Altenmelle, organisiert vom TAK AÖ, Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie, in dem ich engagiert war. Dort wurden erste Überlegungen, Name, Konzept, Gestaltung und Inhalte diskutiert. Im Mittelpunkt sollten alternativökonomische Ansätze mit den selbstverwalteten Betrieben und Projekten stehen. Ziel war es, für diese eine Art Sprachrohr zu sein, aber auch deutlich zu machen, dass Alternativen zur bestehenden Wirtschaftsweise möglich sind. Dies ist mit wechselnden Schwerpunkten und Ausformungen bis heute charakteristisch geblieben.

Was hat dich motiviert, so viele Jahre dabei mitzumachen?

Ich fand die Grundidee gut. Für mich war CONTRASTE von Beginn an der Versuch, eine Art Wirtschaftszeitung auf den Weg zu bringen, die enger mit den Ideen und Konzepten der Selbstverwaltung verbunden bleibt als die taz. Mitarbeiten wollte ich ursprünglich nicht, weil ich damals an meiner ersten Buchveröffentlichung »Produktivgenossenschaften oder der Hindernislauf zur Selbstverwaltung« gearbeitet habe. Dieter Poschen band mich aber früh zum Schreiben einzelner Artikel ein. Als er mir dann zwei Jahre später vorschlug, regelmäßig monatlich Artikel für eine Seite zum Thema Genossenschaften zu liefern, habe ich – ein wenig blauäugig – zugesagt, und dies mit wenigen Ausnahmen bis heute tatsächlich durchgehalten.

Wie hast du die Entwicklung der CONTRASTE erlebt?

Sie war schon sehr wechselhaft und auch immer wieder konfliktgeladen. Es gab wiederholt einzelne Personen, die sehr polemisch nach innen gegenüber Mitautor*innen als auch nach außen gegenüber verschiedenen alternativökonomischen Ansätzen agiert haben. Einer der ersten Höhepunkte war der Vorwurf bzw. Nachweis, dass die damalige Ökobank in die Rüstung investiere. Damit schaffte es die CONTRASTE sogar in die Schlagzeiten der herkömmlichen Presse. Für das Verhältnis zu etablierten, ökonomisch erfolgreicheren alternativökonomischen Betrieben wurde dies aber zur Bremse. Gemeinsame Wege mit dem Establishment der Selbstverwaltungsszene waren danach eher verschlossen.

Ruhiger Pool bei Konflikten und Zuspitzungen der internen Auseinandersetzungen war erstaunlicherweise Dieter Poschen – erstaunlich, weil er selten Stellung bezog. Aus Grundsatzdiskussionen hielt er sich raus und versuchte die verschiedenen Akteur*innen und Gegenpole zusammenzuhalten, indem er sie als »Zentrale« voneinander abschirmte. Vielen, die nach meiner Wahrnehmung in der Polarisierung einen gewissen Selbstzweck sahen, fehlte so der Resonanzboden. Sie haben die CONTRASTE dann irgendwann verlassen und sind anschließend journalistisch oft völlig in der Versenkung verschwunden.

Was war eines deiner schönsten Erlebnisse im Zusammenhang mit CONTRASTE?

Die CONTRASTE ist nach dem Tod von Dieter Poschen nicht sang- und klanglos verschwunden. Daran hatte unsere damalige Redakteurin Elisabeth Voss einen hohen Anteil. Mittlerweile nehme ich die CONTRASTE stärker als früher tatsächlich als selbst­organisiertes Medienprojekt wahr, in dem sich engagierte Menschen dafür einsetzen, die Weiterentwicklung von Wandelprojekten zu begleiten und öffentlich zu machen. Positiv hat sich bei mir auch das Bild der Redakteur*innen verankert, die ich nach vielen Jahren beim vorletzten Redaktionstreffen wieder getroffen habe: Engagiert, offen, konstruktiv wurde dort effektive Arbeit und gutes Leben miteinander verbunden.

Welche Probleme wurden wie gemeistert?

Die Weiterentwicklung der CONTRASTE ist in den letzten Jahren hervorragend gelungen. Das Layout und die Gestaltung sind besser geworden, die Stringenz und Qualität der Artikel konnte deutlich gesteigert werden und die interne Umgangsweise und Konfliktfähigkeit entspricht mittlerweile den eigenen Ansprüchen. Dazu haben die von vielen Seiten der Redaktionsgruppe angemahnte Versachlichung bei Konflikten, hohe Sozialkompetenz der Beteiligten und eine gewachsene Struktur der Netiquette beigetragen. Dass wir Regine Beyß für die Koordination gewinnen konnten, ist sicherlich ein wichtiger Baustein der gegenwärtigen Stabilisierung. Nun müsste nur noch das leidige Finanzthema eine spürbare Verbesserung erfahren.

Warum denkst du, braucht es auch heute noch eine Zeitung wie die CONTRASTE?

Eine Zeitung wie CONTRASTE braucht es gegenwärtig mehr als je zuvor. Jahrelang hat die Zeitung eher von ihren alten Leser*innen gelebt. Dies war und ist so etwas wie eine »treue Gemeinde«. Seit einiger Zeit schon stoßen die Themen, die wir aufgreifen, verstärkt auf Interesse auch bei jüngeren Menschen. Viele von ihnen bevorzugen allerdings kostenlose Informationen in digitaler Form. Insofern wird CONTRASTE trotz sich abzeichnender wachsender Aufmerksamkeit nicht im gleichen Umfang von diesem Wachstum profitieren.

Wie mit der Erwartung vieler von digitalen Lesegewohnheiten geprägten Leser*innen umzugehen ist – da bin ich selbst eher ratlos. Viele wollen Informationen möglichst kostenlos und in kleinen überschaubaren »Häppchen« aufbereitet bekommen. Eine Chance, dass CONTRASTE vielleicht dennoch von neuen Wandelaktiven profitiert, sehe ich in einer stärkeren Zusammenarbeit mit verschiedenen Verteilern, Newslettern und digitalen Medien der neu entstehenden Gruppen, die sich mit Alternativen in unserer Gesellschaft auseinandersetzen. So könnten verstärkt Synergien und ein Wachstum an bezahlten Abos zustande kommen.

Was würdest du dir für die nächsten Jahre für das Zeitungsprojekt wünschen?

Wie ich schon angedeutet habe, gehört zu dem Wunschkonzert auf jeden Fall eine bessere Finanzierung, so dass wir nicht immer wieder bangen müssen, ob es am Jahresende reicht. Ebenfalls gut wäre, wenn mindestens zwei oder drei neue Redakteur*innen dazukommen. Dies gilt für lokale oder regionale Redaktionsgruppen etwa in Ostdeutschland oder in Städten wie München und Frankfurt. Ebenso wichtig ist aber eine redaktionelle Erweiterung zu aktuellen Themenfeldern wie Postwachstumsökonomie, Digitale Vernetzung der Wandelbewegung oder wieder eine Kommune-Redaktion.

Denkst du, dass die Zeitung in den letzten 35 Jahren etwas verändern konnte? Welche Wirkung hat sie deiner Erfahrung nach?

Das ist schwer zu sagen. Empirisch erhobene Daten liegen uns dazu ja nicht vor. Die CONTRASTE ist aber sicherlich kein unwichtiger Baustein innerhalb der gesamten Wandel- oder Alternativökonomiebewegung. Sie wirkt nicht so spektakulär wie einzelne, situativ aufflammende Bewegungen wie Attac, Energiegenossenschaften, Fridays for Future – um nur einige wenige namentlich zu nennen. Ihre bisherige Kontinuität ist aber beeindruckend. Mit dieser Beständigkeit ist sie Mutmacherin und übernimmt ein wenig die Rolle eines »Informationsfels« in der Brandung der Informationswelt der Beliebigkeit. Durch beides kommt ihr eine kleine, eben nicht einfach entbehrliche Rolle im Chor der vielen Unentwegten zu, die sich für eine bessere Welt einsetzen.


Anlässlich unseres 35-jährigen Jubiläums laden wir am 18. Januar 2020 zu einer Feier in die SSM nach Köln ein. Merkt euch diesen Termin schon einmal vor, eine ausführliche Einladung folgt. Außerdem wollen wir unser Archiv zugänglicher machen und stellen auf unserer Webseite bald alte Pdf-Ausgaben der CONTRASTE zum Stöbern zur Verfügung.

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