Langsam wird die Krise zur Normalität. Das öffentliche Leben ist weitgehend lahmgelegt, strikte Ausgangsbeschränkungen im Parlament einstimmig angenommen. Schulen sind ebenso geschlossen wie Kultureinrichtungen und soziale Zentren. Ein Vorteil dieser Situation ist, dass plötzlich sichtbar wird, was wir wirklich zum Leben brauchen: Autofabriken und Flughäfen schließen, Pflegepersonal und Verkäufer*innen werden zu Held*innen des Alltags. So manche*r reibt sich die Augen, was in so einem kurzen Zeitraum alles möglich ist. »Angst essen Neoliberalismus auf«, meinte ein Poster in den sozialen Medien und tatsächlich: Alle sprechen plötzlich von Verstaatlichungen, Wirtschaftswachstum tritt in den Hintergrund, globale Versorgungsketten werden zum Problem. Zumindest dem Klima wird die Krise gut tun.
Die große Mehrzahl der Menschen scheint die Maßnahmen für richtig zu halten und zu akzeptieren. Andererseits: Wenn ständig die Solidarität beschworen wird, wer wagt es dann noch, Gegenteiliges zu äußern, geschweige denn zu tun? Der soziale Druck ist groß, aber nach mehr als einer Woche der Isolation, beginnt doch so manche*r, sich Fragen zu stellen.
Dieses Virus – ist es nicht eine ideale Gelegenheit, von Themen wie Klimawandel und der Situation an den europäischen Grenzen abzulenken? Und ist es nicht eine Chance für Politiker*innen, Handlungsfähigkeit zu suggerieren, die sie gerade zu diesen Themen seit Jahren vermissen lassen?
Ist es nicht ein geeigneter Anlass, Proteste und Demonstrationen zu verbieten, die in den letzten Wochen – angesichts der erstarkenden Klimabewegung und der eskalierenden Situation an der griechischen Grenze – gehäuft und oft auch spontan auftraten und ein Ausmaß zivilen Ungehorsams erreichten, das für Österreich untypisch ist? Ist es nicht ein Grund, Grenzen zu schließen, gegen den nicht einmal die größten Gutmenschen etwas einwenden können? Und der wirtschaftliche Einbruch, wird er wieder ein Anlass sein, weitere Sparprogramme umzusetzen?
Geradezu gruselig ist es zu sehen, wie schnell wie viel Macht auf Politiker*innen übergehen kann, wie Grundrechte außer Kraft gesetzt werden, wie Überwachung zum Alltag wird. Was kommt nach der Krise? Haben sich die Menschen dann schon daran gewöhnt? Was macht das mit unseren Demokratien? Und was macht es mit uns als Menschen?
Die Anweisungen, soziale Kontakte auf das unbedingt Notwendige zu beschränken gehen soweit, dass Großeltern ihre Enkel nicht mehr sehen sollen, und überhaupt solle mensch wenn möglich zu Hause bleiben. Für Menschen als soziale Wesen kontraintuitiv. Für Menschen, die in kollektiven Prozessen organisiert und für viele ihrer Bedürfnisse davon abhängig sind, ein Problem. Wird das Virus genutzt, um noch mehr Vereinzelung das Wort zu reden und Misstrauen zu schüren? Jede*r ist sich selbst der Nächste, jede*r andere eine Gefahr? Wäre es nicht gerade in schwierigen Zeiten wichtig, sich mit anderen zu treffen? Und über allem immer wieder die Frage: Wem nützt es?
Hier sammeln wir Links zur »Selbstorganisation in der Coronakrise«