Lechts – Rinks

Obwohl die Corona-Maßnahmen von einer großen Mehrheit akzeptiert werden, tritt die Szene der »Rebell*innen« umso lautstärker und penetranter in Erscheinung. Sich verkannt fühlende Persönlichkeiten treibt es vor die WebCam, um ihre Follower mit immer neuen, bisher unbekannten oder unterdrückten »Wahrheiten« zu füttern. Angesichts der eigenen verstörenden Bedeutungslosigkeit greift das verletzte Ich nach Identifikationsmöglichkeiten mit Höherem und Größerem. Die »Corona-Rebell*innen« empfangen die frustrierten Seelen mit offenen Armen.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel. Illustration: Eva Sempere

Eine Bekannte aus der Eso-Szene schickte mir kürzlich den Zusammenschnitt einer Trump-Rede mit deutschen Untertiteln, in der er seine Zuhörer*innen zu Held*innen und einsamen Kämpfer*innen für das Wahre und Richtige hoch stilisiert. Er nimmt sie vor den Angriffen des Establishment in Schutz, ruft sie auf, ihre Außenseiter-Position umzudeuten und sich als die wahren Held*innen und Sensiblen zu verstehen, die jetzt aus innerster Überzeugung gegen den Rest der Welt kämpfen und eines Tages vor der Geschichte Recht bekommen werden. Meine Bekannte schickte noch eine Rede von Nelson Mandela mit, weil sie darin eine Seelenverwandtschaft mit Trump entdeckt zu haben glaubte.

In einem anderen Internet-Auftritt wird die gegenwärtige gesellschaftliche Situation mit einer »Drehtür« verglichen, in der alle sinnlos im Kreis herum laufen, bis die Klugen und Erleuchteten endlich aus eigener Kraft den Ausgang finden. Das Bild erinnert stark an das »Hamsterrad«, das von Linken oft als Bild gewählt wird: Wir dienen einem automatischen Subjekt, das uns blind macht und zu willenlosen Rädchen im Getriebe degradiert. Auch hier geht es darum, auszusteigen und ein neues besseres Leben zu finden.

Für die bürgerliche Wahrnehmung sind links und rechts ja schon immer die gleichen extremen Abweichungen von der Normalität gewesen. Das fand ich bisher nur lächerlich – und natürlich gibt es gar keinen Vergleich, was die Qualität der Inhalte betrifft. Allerdings: Der rebellische Impuls, die Unzufriedenheit mit der Entfremdung und fehlenden Selbstwirksamkeit kommen mir schon bekannt vor. Ich kann mich erinnern, dass ich mich in der 68er-Bewegung teilweise beschämend schlicht positioniert und dabei genau dieses erlösende Gefühl hatte, aus einer Position der Unterlegenheit, Unwichtigkeit und Hilflosigkeit gegenüber dem etablierten Wissenschaftsbetrieb mit einem Befreiungsschlag herauszukommen.

Linke mischen erfreulich wenig in der neuen Rebell*innen-Szene mit, obwohl ein kritisches Verhältnis zum Staat ja linke Tradition ist. Das ist einerseits beruhigend, andererseits könnte uns die Vehemenz und Massenwirksamkeit dieser Bewegung durchaus zu denken geben – zeigt sie doch, wie schnell sich die Frustration, die das System täglich auslöst, in offene Empörung verwandeln kann. Dass linke Kapitalismuskritik und emanzipatorische Zukunftskonzepte für diese Menschen bisher völlig unattraktiv zu sein scheinen, sollte uns nicht schmeicheln, sondern eher Anlass zu Selbstkritik und neuen Ideen sein.

Uli Frank

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