Kolumne: Wer gewinnt, wer verliert?

Ich traute meinen Ohren kaum, als ich vor kurzem der Morgensendung eines lokalen Rundfunksenders lauschte. Da priesen die beiden gut gelaunten Moderator*innen ein Projekt namens »Pfandgeben« und konnten sich kaum halten vor Begeisterung über diese tolle Idee. Die lautet so: Über eine App oder auch per Anruf kann ich meinen Flaschenpfand an Pfandsammler*innen in meiner Umgebung spenden. So könne »jede*r schnell und einfach etwas Gutes tun und muss sich nicht mehr selbst um die Pfandrückgabe kümmern«, heißt es auf der Webseite des Projekts.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel
Illustration: Eva Sempere

Je länger die Moderator*innen über das Projekt redeten, umso aufgebrachter wurde ich. »Merken die eigentlich noch was?«, fragte ich laut vor mich hin. Als sei es nicht schon schlimm genug, dass Menschen in unserer wohlhabenden Gesellschaft auf die Einnahmen vom Pfandsammeln angewiesen sind. Jetzt wird es auch noch als eine gute Tat dargestellt, wenn Leute zu faul sind, um ihr Pfand selbst in den Supermarkt zu bringen – sie sind ja auf das Geld nicht angewiesen. Stattdessen können sie sich ganz bequem per App eine Person nach Hause bestellen, die sich über die leeren Flaschen sogar freut. Eine klassische Win-Win-Situation?

Ich würde sagen, hier wird vielmehr eine ganz klassische Win-Lose-Situation vollkommen verzerrt dargestellt. Diese Situation drückt sich unter anderem in extremen Einkommens- und Vermögensunterschieden, zu niedrigen Mindestlöhnen, dem Kürzen von Sozialleistungen und ungleichen Bildungschancen aus. Eine Person, die großzügig ihre drei leeren Bierkästen spendet, und eine Person, die mit dem Pfand ihren Lebensunterhalt bestreitet, stehen sich in der Regel eben nicht auf Augenhöhe gegenüber. Daran wird »Pfandgeben« nichts ändern. Das Projekt nimmt gesellschaftliche Verhältnisse als gegeben hin, die eigentlich scharf kritisiert werden müssten. Auch wenn einige Pfandsammler*innen tatsächlich davon profitieren werden, geht es doch vor allem darum, das schlechte Gewissen der Spender*innen reinzuwaschen. Seht her, ich tue etwas Gutes!

Natürlich lässt sich diese Problematik auf sehr viele andere Bereiche übertragen. Und sie wirft eine ganz grundsätzliche Frage auf: Wie umgehen mit Projekten, die hier und heute zwar konkret eine Verbesserung für Betroffene bewirken, aber langfristig die strukturellen Ursachen nicht angreifen? Auch ich habe an dieser Stelle nicht immer eine eindeutige Antwort. Denn wer bin ich, die Unterstützungsstrukturen für zum Beispiel Geflüchtete, Geringverdiener*innen oder Wohnungslose zu kritisieren? Das steht mir im Grunde gar nicht zu – vor allem, wenn ich nicht selbst auf sie angewiesen bin. Andererseits finde ich es wichtig, nicht bei der konkreten Unterstützung stehen zu bleiben, sondern die großen politischen Zusammenhänge und Ursachen bei der eigenen (ehrenamtlichen) Arbeit im Blick zu behalten. Denn das Ziel sollte sein, dass es die eigene Struktur irgendwann nicht mehr braucht – und Menschen nicht mehr darauf angewiesen sind, Pfand zu sammeln.

Regine Beyß

Das könnte für dich auch interessant sein.