Einser-Abis

Gleich auf der ersten Seite neben »Kinderwunsch: Paare fragen Hilfe stark nach« prangt die Überschrift »Zahl der Einser-Abi steigt weiter an«. Also nur gute Nachrichten heute? Nicht nur, dass die Menschen mehr Kinder wollen, sondern unsere Wunschkinder werden auch noch immer schlauer! Das müsste doch allen LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen, die sich mit dem herrschenden Zensuren-System wohlfühlen, gut tun. Alles wird besser. Aber der Artikel endet mit einer Kritik des deutschen Hochschulverbandes: »…der ›Noteninflation‹ müsste Einhalt geboten werden.« Was denn nun? Da werden die Schüler vom ersten Tag an in der Schule auf den »Ernst des Lebens« vorbereitet, auf Leistung, Erfolg und Konkurrenz getrimmt. Dann richten sie sich danach und schaffen es, die entsprechende Belohnung zu ergattern – und schon ist auch das wieder nicht recht.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel – Illustration: Eva Sempere

Offensichtlich wird hier die Selektionsfunktion der Schule höher bewertet als die Pädagogik. Wen wundert das? Zwar sind die allgemeinen Lernziele der Schule oft in liebevollen Worten formuliert, in Nordrhein-Westfalen etwa »Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung«. Aber jeder weiß, dass es vor allem auf die Noten ankommt, an die dann bestimmte Lebenschancen gebunden sind.

Wir kritischen LehrerInnen haben unser ganzes Leben lang gegen das quantitative Beurteilen von Schülern gekämpft und immer wieder die kritischen Artikel der Fachwissenschaft dazu abgerufen. Die moderne Bildungswissenschaft steht fast einhellig in einem kritischen Verhältnis zur Notengebung, weil diese die sozialen Verhältnisse nicht berücksichtigt, weil sie SchülerInnen zu einem formalen Leistungs-Verständnis verführt anstatt dazu einzuladen, sich die Welt nach eigenem Interesse und eigenem Lernfortschritt anzueignen. Und auch, weil die Fremdbeurteilung über Noten die Kinder zwingt, sich fremden und für sie unverständlichen Instanzen zu unterwerfen.

Hinter konservativen Schulkonzepten stand schon immer die perverse Angst, dass zu viele Schüler zu schlau werden könnten. Das Argument war immer: Wir brauchen auch Leute, die die (Drecks-)Arbeit machen; zu viele intelligent gemachte Menschen, die auf die Universitäten strömen und entsprechend qualitativ hochwertige Berufe haben wollen, könnten den gesellschaftlichen Frieden bedrohen. Ich fand das immer schon zynisch und absurd. Wie viel schöner und lebenswerter wäre eine Welt, in der möglichst viele Menschen möglichst viel gelernt und reflektiert haben – nicht nur die berühmten Selektions-Fächer wie Englisch und Mathe, sondern auch solche, bei denen die Persönlichkeitsentwicklung, das Wissen um soziale Probleme und die eigene Psyche gestärkt würden. Schon lange kursiert die ideale Zielvorstellung für die Schule als »Haus des Lernens«. Wie schön, wenn sie das wirklich würde und die Menschen immer klüger, rücksichtsvoller, selbstbewußter, sozialer und und und … würden.

Uli Frank

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