Digitalisierung bei Genossenschaften

In »Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft« warnte der Computerpionier Joseph Weizenbaum schon 1978 eindringlich vor der Gefahr eines technokratischen Denkens, das sich zu sehr auf die Maschine und ihre Programme verlässt. Inzwischen ist die Digitalisierung in aller Munde – auch bei Genossenschaften.

Burghard Flieger, Redaktion Genossenschaften

Warnende Stimmen wie die von Joseph Weizenbaum sind heute erheblich leiser geworden oder finden zumindest weit weniger Gehör. Auch in der Welt der Genoss*innen und Genossenschaften dominieren die Befürworter*innen einer schnelleren Digitalisierung. Das Verwenden von Daten und algorithmischen Systemen für Prozesse, Kommunikation, Produkte und Geschäftsmodelle gehört zum Mainstream der heutigen Kultur des Wandels. Bei der Suche nach guten Beispielen in der Genossenschaftslandschaft zeigt sich: Zahlreiche digitale Leuchtturmprojekte gleichen eher Glühwürmchen. Mit ihrem Leuchten versuchen sie Partner*innen anzulocken – in meist kurzen Zyklen (bei Glühwürmchen nach spätestens 61 Tagen) ist es mit ihrer Leuchtkraft bereits vorbei.

Der Schwerpunkt »Digitalisierung bei Genossenschaften« war mit einer aufwendigen Suche nach guten Beispielen verbunden. Deutlich wurde dabei, dass die Zersplitterung bisher noch immens ist. Offensichtlich können sich selbst in einzelnen Branchen die genossenschaftlichen Akteur*innen nicht auf gemeinsame Plattformen, Tools, Apps, Software für Mitgliederverwaltung oder -beteiligung einigen. So wächst die Macht der digitalen Konzerne ständig weiter, weil gemeinschaftlich getragene Lösungen als Alternative zu wenig auf dauerhaftes Nutzungsinteresse stoßen. Am besten scheint noch die Energiegenossenschaftsszene aufgestellt zu sein. Gründe hierfür könnten in der von Beginn an hohen Technik­affinität dieser Branche liegen.

Der Schwerpunkt startet mit einem Einblick in die anstehenden gesetzlichen Veränderungen. Dadurch wird die Verwaltung von Genossenschaften, einschließlich Beitritt und Durchführung von Mitgliederversammlungen, erhebliche Erleichterungen erfahren. Digitalisierung muss aber, zumindest wenn sie zur Mitgliederpartizipation und mehr Engagement beitragen soll, die Mitglieder durch gute regelmäßige Information einbinden. Das betont Jan Ulrich Hasecke von der Hostsharing eG. Sie gehört zu den Pionier*innen der genossenschaftlichen Digitalisierung.

Eine Vorbildfunktion bei der Digitalisierung kommt der Zusammenarbeit zweier bundesweit agierenden Genossenschaften zu: der wechange eG, Betreiberin einer genossenschaftlich getragenen Plattform, und der Bürgerwerke eG, ein Zusammenschluss von über 100 Energiegenossenschaften. Sie wollen die Arbeit der Bürgerwerke digital besser aufstellen, aber diese Möglichkeit auch den einzelnen Mitgliedsgenossenschaften zur Verfügung stellen. Das ist ein Ansatz, der bei anderen genossenschaftlichen Vernetzungen oder Kooperationen Schule machen sollte.

Im Artikel von Sjard Hönsch und Julietta Adorno geht es um einen systematischen Überblick: Welche technischen Lösungen eignen sich für eine gute Zusammenarbeit in Genossenschaften? Der Beitrag von Corinna Kindler verfolgt analoge Ziele. Hier steht im Vordergrund, wie über eine Servicesoftware Initiator*innen von Bürgerbeteiligungen Angebote ohne viel Aufwand abwickeln können. Sonja Menzel verweist auf eine am 29. November 2024 geplante Veranstaltung des Bundesvereins zur Förderung des Genossenschaftsgedankens.


Titelbild: Die Hostsharing eG präsentiert regelmäßig genossenschaftliches Hosting auf IT-Veranstaltungen wie den Chemnitzer Linux-Tagen. Foto: Milan Ihl

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