Die tickende Uhr der Pressefreiheit

Seit April 2019 ist Julian Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London inhaftiert. Der Publizist und WikiLeaks-Gründer gilt als berühmtester politischer Gefangener der Welt und ist zu einem Symbol für ein internationales Armdrücken um die Freiheit des Journalismus, Korruption von Regierungen und ungesühnte Kriegsverbrechen geworden. Der aufwühlende Dokumentarfilm »Ithaka« zeigt den Kampf um die Freilassung von Assange aus der Sicht seiner Frau und Anwältin sowie seines Vaters.

PETER STREIFF, REDAKTION STUTTGART

»Wundert euch nicht, wenn ihr Tränen in den Augen habt, nachdem der Film zu Ende ist«, warnte Craig Murray die Besucher*innen im Stuttgarter Kino Bollwerk vor der Vorführung von »Ithaka«. Der bekannte schottische Journalist und Menschenrechtsaktivist unterstützt die Kampagne für die Freilassung seines langjährigen Freundes Julian Assange und reiste im Dezember mit dem Regisseur Ben Lawrence durch Deutschland.

Und Murray sollte recht behalten: »Ich bin fassungslos«, sagte eine Zuschauerin im Gespräch nach der Vorführung. Andere schauten betroffen oder rangen nach Worten. Auf der Website zum Film fasste eine Kommentatorin ihre Eindrücke in drei knappen Sätzen zusammen: »Wem bislang die Ernsthaftigkeit der Lage nicht bewusst geworden war, der wird spätestens während des Films wachgerüttelt. Julian Assange wird regelrecht gefoltert und zwar von denjenigen, die anhand von seinen Entdeckungen hinter Gittern sitzen müssten. Es geht um nichts Geringeres als unser aller Freiheit.«

Der inzwischen 51-jährige Publizist und Aktivist Julian Assange gründete 2006 die Plattform WikiLeaks, die vier Jahre später mit der Veröffentlichung von Geheimdienstdokumenten international bekannt wurde – unter anderem zu Kriegsverbrechen im Irak. Daraufhin leitete die US-Justiz eine strafrechtliche Untersuchung ein.

Im November 2010 erließ Schweden einen internationalen Haftbefehl wegen des Vorwurfs des sexuellen Fehlverhaltens. Assange beurteilte die Anschuldigungen jedoch als Vorwand, um seine Auslieferung an die USA zu ermöglichen. Er flüchtete 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London, wo er Asyl erhielt. 2019 wurde ihm das Asyl jedoch entzogen und die britische Polizei verhaftete ihn. Seitdem sitzt er im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh und es droht ihm die Auslieferung an die USA sowie eine 175-jährige Haftstrafe. Die Anklage lautet auf Verstoß gegen das 100 Jahre alte Spionagegesetz aus 1917.

Assanges Bruder, Gabriel Shipton, hatte ihn bereits verschiedene Male in der Botschaft und in Gefängnissen besucht, doch im August 2019 nach einem Besuch im Belmarsh-Knast sei alles anders gewesen: Er habe das bedrückende Gefühl gehabt, dass Julians Leben am seidenen Faden hing und er beschloss, den Film zu drehen.

In der Reise seines Vaters John Shipton habe er die Idee für den Filmtitel »Ithaka« gehabt: Ein Vater, der für seinen Sohn kämpft – und auch jeden Millimeter Transparenz und Kommunikationsfreiheit erstreiten muss. Mit seinem Film wolle Gabriel zeigen, »wie weit die reichsten und mächtigsten Nationen in der Geschichte der Welt gehen, um ihre Verbrechen zu verbergen. Ithaka trifft den Kern dessen, wie die Pressefreiheit und unser Recht zu kommunizieren langsam vor unseren Augen abgebaut werden.«

Entstanden ist ein Dokumentarfilm, der über zwei Jahre in Großbritannien, Europa und den USA gedreht wurde. Diese Geschichte, in der historische Archivaufnahmen und intimes Material hinter den Kulissen miteinander verwoben sind, zeigt Johns Weg an der Seite von Julians Verlobten, der Anwältin Stella Moris, die sich gemeinsam für Julian einsetzen. Inzwischen sind Stella und Julian verheiratet und haben zwei Söhne.

Dieser David-und-Goliath-Kampf ist persönlich – und da sich Julians Gesundheitszustand im britischen Hochsicherheitsgefängnis verschlechtert und die amerikanische Staatsanwaltschaft versucht, ihn auszuliefern, um ihn in den USA vor Gericht zu stellen, tickt die Uhr.

Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Folter, Prof. Nils Melzer, bezieht im Film eindeutig Stellung: Er habe es in 20 Jahren seiner Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung noch nie erlebt, »dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengetan hat, um eine einzelne Person über einen so langen Zeitraum und mit so wenig Rücksicht auf die Menschenwürde und die Rechtsstaatlichkeit absichtlich zu isolieren, zu dämonisieren und zu misshandeln.«

Laut Craig Murray gebe es seit kurzem neue Hoffnung, da sich nach langem Zögern die New York Times, der Spiegel und andere Zeitungen für die Freilassung von Julian Assange ausgesprochen haben.

Filmplakat: www.ithaka.movie

Weitere Infos:

Der australische Kinofilm »Ithaka – a father, a family, a fight for justice« (deutsche Untertitel) dauert 114 Minuten. Infos (dt.) zur Geschichte von Julian Assange, zum Film und dessen Vorführorten (im Jan./Febr. in Bonn, Köln, Düsseldorf und Saarbrücken) auf:

www.ithaka.movie

www.freeassange.eu

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