Kolumne: Eine Portion Kapitalismus

Es scheint eine größere Werbe-Kampagne zu sein, die Dr. Oetker da gerade auffährt. Jedenfalls kann ich mich in der Stadt im Moment nicht bewegen, ohne überall dieselben Plakate zu sehen. Sie werben für den »Seelenwärmer«; das ist eine Pudding-Portion für eine Person, die mit heißem Wasser direkt in der Tasse zubereitet werden kann, wahlweise in den Geschmacksrichtungen Schokolade, Vanille, Karamell oder Sahne-Mandel.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel. Illustration: Eva Sempere

Ich bin genervt von dieser Werbung – und das nicht nur, weil an jeder Straßenecke das gleiche Motiv zu sehen ist. Ich bin auch genervt von der Verkaufsstrategie, die mit diesen Produkten verfolgt wird. Es geht nämlich vor allem darum, Gefühle zu verkaufen. Das ist ja grundsätzlich nichts Neues in unserer glitzernden Konsumwelt. Und doch überrascht es mich, wie offensichtlich es hier vonstatten geht, denn die Botschaft wird nicht einmal mehr versteckt.

So steht auf den Verpackungen: »Was für ein Tag. Jetzt mal den Moment genießen. Hmmm… mit warmem Pudding. Wie früher als Kind. Eine Portion Geborgenheit/Gemütlichkeit/Glücksgefühl/Zuhause-Gefühl.« Da haben wir es also schwarz auf weiß: Der Kauf dieses Produkts soll mich glücklich machen. Der Pudding soll mich vergessen lassen, wie hart mein Arbeitstag war, welche Sorgen mich umtreiben und wie viel Care-Arbeit noch auf mich wartet. Statt an diesen Verhältnissen etwas zu ändern, soll ich einfach Pudding essen – denn dann geht es mir besser.

Und es scheint so leicht zu sein: Geborgenheit, Gemütlichkeit, Zuhause, Glück – für all das brauchen wir eigentlich andere Menschen. Doch Dr. Oetker gaukelt uns vor, dass wir es auch unkomplizierter haben können. Ganz individuell, ohne viel Aufwand. Konsum statt Beziehungen. Das ist das kapitalistische System in höchster Vollendung!

Es gibt noch etwas, das mich nervt: Die Plakate haben eine Wirkung auf mich, obwohl mir diese ganze Problematik doch bewusst ist. Wenn ich im kalten Regen an der Straßenbahn-Haltestelle stehe und mich dieses Plakat mit vermeintlich leckerem Pudding anlacht, bin ich nicht mehr ganz immun gegen seine Botschaft. Woran das liegt, könnten mir vermutlich Verkaufspsycholog*innen erklären, oder auch Neurobiolog*innen, die sich mit dem Belohnungssystem in Gehirn auskennen.

Gekauft habe ich den Pudding bisher trotzdem nicht, sehr wahrscheinlich wird es dabei auch bleiben. Denn auch wenn ich manchmal ein Stück Schokolade esse, um meine schlechte Laune zu vertreiben, ist mir doch klar: Geborgenheit und Glück gibt’s nicht im Supermarkt – auch wenn mir der Kapitalismus jeden Tag aufs Neue versucht, mich davon zu überzeugen.

Regine Beyß

Das könnte für dich auch interessant sein.