So lautet Adornos berühmter Satz aus seinen minima moralia in der Erstfassung. Heute ist er sein bekanntestes Zitat: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen«.
Allmählich wird es wirklich Zeit, dass ich von meiner Lieblingskneipe erzähle. Die Liebe begann, als ich dort bei meinem ersten Besuch meine Zeche nicht bezahlen konnte. »Das Geld kannst du mitbringen, wenn du wiederkommst!« sagte Erich, der Wirt – ohne mich zu kennen. Ich hatte die Kneipe als öde Landschenke in Erinnerung, in der sonntags einige Männer mit Bier und Schnaps an der Theke standen. Erich hat mitten auf dem Land vor vielen Jahren eine attraktive Szene-Kneipe draus gemacht. Er ist Filmemacher und dreht seine Filme mit seinen Gästen und Mitarbeiter*innen.
Die Drehtage sind genau so schön wie die Abende in seiner Kneipe: Erich sorgt für aufwändige Kostümierung, Ausstattung, Maske und professionelle Technik sowie für Essen und Getränke. Seine Gäste sind eigentlich seine Freunde. Als die Kneipe wegen Corona geschlossen werden musste, sammelten viele von ihnen spontan Geld, um ihren Lieblingsort am Leben zu erhalten. Als ich der kellnernden Studentin Lena sagte, ich fände die Kneipe die schönste der Welt, antwortete sie, ihre Eltern würden dasselbe sagen und sie sei schon als Kind dorthin mitgenommen worden. Manni gestaltet den wunderschönen exotischen Garten. Gerade hat er alte Stühle aus einem Restaurant organisiert und diese liebevoll restauriert. Für ihn ist der Ort nicht nur Stammkneipe und Arbeitsplatz, sondern Wohnzimmer, in dem er sich fast jeden Abend aufhält.
Auch ich treffe mich dort möglichst oft mit Freundinnen und Freunden und führe auch meine Gäste gerne dorthin. Schade, dass der Betrieb nicht ohne Geld und Tauschlogik funktioniert. Wir versuchen diesen Makel zu entschärfen, indem wir uns gegenseitig einladen, ohne genau gegenzurechnen. Bezahlen kann man ja, so viel man will – allerdings natürlich nicht weniger als die Reproduktionskosten des Lokals: Es gibt so viel Schönes dort zu sehen und zu erleben, dass man das Projekt gerne unterstützt. Ich habe auch schon das Doppelte meiner Zeche für diesen tollen Ort gegeben.
Vor einigen Monaten kam Erich feierlich an unseren Tisch. Ihm sei etwas Unglaubliches zugefallen: Julia, auch eine junge Stammgästin und Uni-Dozentin wolle die Kneipe übernehmen! Sie hat einen guten Job, aber möchte zusammen mit ihrer Familie und vielen Freunden diesen schönen Ort für die Menschen erhalten und dort noch mehr kulturelle Veranstaltungen und Betätigungsmöglichkeiten anbieten. Am nächsten Samstag tritt zum Beispiel ihr Bruder mit seiner Combo auf. Er ist ein fantastischer Gitarrist.
Die »Kastanie« fühlt sich nicht wie ein Service-Betrieb an, wo das kommerzielle Interesse im Vordergrund steht – eher wie ein Treffpunkt, eine zeitlich begrenzte Gemeinschaft, vertraut, aber ohne gegenseitige Verpflichtung. Die traditionelle Tauschwert-Gebundenheit ist leider nicht aufgehoben, überlagert aber nicht den Gebrauchswert der gesellschaftlichen Begegnung. Auch wenn der Aufenthalt noch Geld kostet, verdirbt diese »falsche« Basis nicht die Vorfreude auf »ein richtiges Leben«.
Uli Frank