Bring mir was Schönes mit!

»Bringst du mir was Schönes mit?« fragen nicht nur Kinder. Es ist der Wunsch nach Überraschung. Zwar wünscht man sich Einfühlung in die eigenen Bedürfnisse und Wünsche, aber es soll doch auch eine Überraschung werden, die Perspektive und die Besonderheit des Anderen sollen ebenso ins Spiel kommen. Vielleicht gerate ich so an etwas Neues, an das ich selber gar nicht gedacht hatte. Bekommen, was ich will – das klingt zwar sehr nach Selbstbestimmung und Autonomie, kann mich aber auch ärmer machen und das Leben uninteressanter.

Unsere Kolumne: Blick vom Maulwurfshügel – Illustration: Eva Sempere

»Linear ist out!« las ich neulich. Sich die Fernsehinhalte vom Tagesprogramm vorgeben zu lassen, wird langsam altmodisch ist damit gemeint. Heute sucht man sich das Programm lieber wie aus einer Speisekarte aus, über YouTube oder andere Streaming-Dienste. Das klingt nach Selbstorganisation, Selbstbestimmung und individueller Geschmacksentwicklung. Ich merke allerdings, dass ich dabei etwas vermisse: Die Angebote der Fernsehprogramme kommen für mich aus der Tiefe der Gesellschaft, werden von unzähligen Redakteur*innen und Autor*innen kreiert, geplant, abgestimmt, organisiert, diskutiert und schließlich kommuniziert und gesendet. Mit dem Endergebnis, dass viele Menschen zu einer bestimmten Zeit etwas mit anderen zusammen sehen und hören. Auch wenn diese Menschen nicht real nebeneinander sitzen, ist das ein schöner Gedanke. Und sie haben ein gemeinsames Gesprächsthema, am nächsten Tag am Arbeitsplatz, oder in letzter Zeit sogar zeitgleich über Social Media, wo etwa ausführlich jeder »Tatort« kommentiert wird.

Es ist wie beim Bahnfahren: Mit Stolz, Bewunderung und einem glücklichen Gefühl der Zusammengehörigkeit steige ich mit anderen erwartungsvollen Reisenden in Züge, die mir gesellschaftlich zur Verfügung gestellt werden, nutze als Weltbürger das weltweite Schienennetz, als wenn es für mich geschaffen worden wäre. Im Auto sitze ich in meinem eigenen Gerät, als Ware gekauft und angeeignet – mit der Gesellschaft, den anderen, hat es nichts zu tun. Auch wenn das Straßennetz gesellschaftlich zustande kommt und unterhalten werden muss und wenn es Verkehrsregeln gibt – das Individualfahrzeug ist eben gerade das Vehikel persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit und damit Ausdruck der Abgrenzung vom gesellschaftlichen Zusammenhang.

Auch bei meinem Sudoku freue ich mich immer auf das tagesaktuelle Rätsel in meiner Tageszeitung. Ich könnte mir natürlich ein Rätselheft mit hunderten Sudokus kaufen und hätte dann immer welche zur Verfügung. Aber da fehlt die Überraschung.

»Bring mir was Schönes mit!« Vernünftig ist sicher, eine perfekte Einkaufsliste zu schreiben, um keine unangenehmen Überraschungen zu erleben. Aber Überraschungen und Veränderung machen das Leben erst spannend. Selbstbezogener Individualismus ist auch immer Verarmung, Einseitigkeit und Langeweile. Ich freue ich mich also darauf, was sich die Fernsehredakteur*innen heute Abend für mich ausgedacht haben.

Uli Frank

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