Das Netzwerk Care Revolution besteht seit 2014. Es ist ein Zusammenschluss von Gruppen und Einzelpersonen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion – Hausarbeit, Gesundheit, Pflege, Assistenz, Erziehung, Bildung, und Sexarbeit – aktiv sind. Uns verbindet, dass wir die unter Kostendruck leidende entlohnte und die abgewertete unentlohnte Sorgearbeit ins Zentrum der Gesellschaft holen wollen.
Matthias Neumann, Netzwerk Care Revolution
Was uns zur Gründung des Netzwerks Care Revolution bewegt hat, hat auch nach zehn Jahren Bestand. Erstens: Mit wenigen Ausnahmen sind die einzelnen Gruppen Sorgearbeitender zu schwach, zu vereinzelt, zu verwundbar, um allein substantielle Veränderungen zu erkämpfen. Umso dringender benötigen wir Bündnisse zwischen beruflich und unentlohnt Sorgearbeitenden und Nutzer*innen der Einrichtungen. Diese herzustellen, bleibt eine Hauptaufgabe. Zweitens: Bedürfnisse, gerade auch in der Sorge, sind nicht verhandelbar. Deshalb ist diese Gesellschaft so lange zu verändern, bis diese Bedürfnisse für alle ohne Ausschlüsse erfüllbar sind. Drittens: Bei Sorgearbeit geht es ganz zentral um Geschlechterverhältnisse. Daher ist nicht nur die Qualität der sozialen Infrastruktur Thema, sondern auch patriarchale Normen in Gesetzen und in den Köpfen, die zu Überlastung und (Alters-)Armut vor allem von Frauen* führen. Viertens: Die grundlegende Ignoranz insbesondere gegenüber der unentlohnten Sorgearbeit ist in die kapitalistische Gesellschaftsformation eingeschrieben. Ohne Kapitalismuskritik geht es also nicht.
Unser größtes Projekt in der Corona-Zeit war die kleine Kampagne »Platz für Sorge«, die 2021, mit Ausläufern ins Jahr 2022, stattfand. Die Bedeutung, aber auch die Überlastung der Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Kitas wurde während der Pandemie offensichtlich, ebenso wie die der unentlohnten Sorgearbeit, die insbesondere in der Kombination von Kita- und Schulschließungen sowie Home-Office in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit geriet. Lokale Bündnisse organisierten Aktionen auf öffentlichen Plätzen. Die alltäglichen Bedrängungen und notwendigen grundlegenden Veränderungen wurden dabei in Erzählungen und Forderungen deutlich. Verbindendes Merkmal war die Umbenennung zentraler Plätze in »Platz der Sorge« und das gemeinsame Logo. In dieser Kampagne lernten wir einmal mehr: Bündnisse brauchen ein konkretes Ziel, zu dessen Durchsetzung man sich verabredet. Gerade die, deren Care-Alltag prekär oder unerträglich ist, müssen spüren können, dass dieser durch gemeinsame Aktion verändert werden kann.
Nach der Corona-Pandemie setzte sich der gefühlte Ausnahmezustand fort. Wir haben uns nicht nur mit Prekarität und Erschöpfung herumzuschlagen, die die strukturelle Sorglosigkeit des Kapitalismus mit sich bringt. In einer Welt, die sich in so vieler Hinsicht zum Schlimmeren wandelt – Klimakatastrophe, Kriege und Aufrüstung als neue Normalität, völkisch-autoritäre Strömungen in greifbarer Nähe zur Macht usw. –, ist Care nicht mehr getrennt von den Themen anderer sozialer Bewegungen verhandelbar. Wir brauchen Erfolge in »kleinen« Sorgekämpfen, aber wenn wir die großen Rahmenbedingungen außer Acht lassen, haben wir schon verloren. Es geht also wie immer bei Care Revolution ums Zusammenkommen, diesmal aber auch bewegungsübergreifend. Care Revolution-Gruppen beteiligen sich daher immer öfter auch an Klima- oder Friedensaktionen oder an Aktionen zur Unterstützung von Migrant*innen. Und weiterhin werden wir, wie in den zehn Jahren zuvor, die Bedeutung auch der unentlohnten Arbeit und derer, die sie tun, beispielsweise in Krankenhausbündnissen verankern.
Wir stehen aber auch vor Fragen, die über Care im engen Sinn hinausgehen: Wie positionieren wir uns in Kriegen, in denen es offensichtlich keine gute Seite gibt, zu deren Opfern wir aber nicht schweigen können? Was ist eine »care-zentrierte«, global teilbare, solidarische Lebensweise, übersetzt ins handfest Vorstellbare? Wie geht Kompromisslosigkeit gegenüber autoritären Ressentiments mit ernstnehmender Empathie gegenüber Menschen in verzweifelten Lebenslagen, die sie äußern, zusammen? Diese und andere Debatten brauchen wir, wenn wir ein dezentral und vielstimmig aufgestelltes Netzwerk bleiben und uns dennoch hörbarer in die anstehenden großen Konflikte einmischen wollen.
Mitte Oktober werden wir mit einem dreitägigen Event in Leipzig zehn Jahre Care Revolution feiern. Ja, wir wollen wirklich feiern, weil wir glauben, dass es auch in dieser schwierigen, manchmal deprimierenden Situation so viele ermutigende Kämpfe, soziale und kulturelle Projekte, Ideen und einfach auch alltägliche Hartnäckigkeit gibt, die wir würdigen möchten. Dazu kommen wir im Tagesgeschäft viel zu selten. Wir wollen in einem Eröffnungspodium am Freitag, in vielen Workshops und einer Party am Samstag zusammenkommen. Dabei freuen wir uns auch sehr auf die Gäst*innen und Referent*innen außerhalb des Netzwerks, die weitere Sichtweisen beitragen, denn auch in anderen Gruppen wird beispielsweise über Demokratisierung und Entprivatisierung von Einrichtungen und über kollektive Lösungen für unentlohnte Care-Tätigkeiten nachgedacht. Am Sonntag geht es dann um unsere weitere Arbeit im Netzwerk – auch hier sind Gäst*innen selbstverständlich sehr willkommen.
Wir sorgen dafür, dass niemand aus finanziellen Gründen auf die Teilnahme verzichten muss. Allerdings sind, wenn du dies liest, vermutlich alle Plätze für das Event vergeben. Dann kannst du dich auf die Warteliste setzen lassen und auf jeden Fall kannst du an den Workshops am Samstag teilnehmen.
Link mit Infos zum Jubiläum: https://care-revolution.org/jubilaeum/
Kontakt: koordination@care-revolution.org
Titelbild: Das Bild ist vom 1.Mai 2024 in Frankfurt/Main, eine Aktion von Care Revolution Rhein/Main. Foto: Elfriede Harth, Care Revolution Rhein/Main