Klimaaktivismus: Brennen ohne Burnout

Langfristig in den Aktivismus einsteigen mir ist das eher zufällig passiert. Nun würde ich gerne andere dabei unterstützen. Was braucht es dafür? Vor allem Motivation? Strukturen im Hintergrund? Motivierte Mitstreiter*innen? Selbstorganisation und wertschätzende Kommunikation: das sind für mich die tragenden Säulen im Gäst_innenhaus. Stellt sich für mich noch die Frage: Machen wir hier auch nachhaltigen Aktivismus?

Tom Zeder, Gäst_innenhaus Jakob, Dannenrod

Täglich sitze ich einige Stunden vorm Bildschirm. Ich plane, maile, telefoniere und plane mit anderen das Planen. Kommunikation und über Kommunikation reden. Ich lebe ein privilegiertes Meta-Leben, das mir durch meine Freund*innen, Familie, solidarische Bekannte und Hartz IV ermöglicht wird.

Da sind viele Aspekte im Organizing und im Aktivismus insgesamt in meiner näheren Bubble (d.h. Szene, Umfeld), die (noch) nicht nach Neoliberalismus stinken. Der Anspruch ist da, uns hierarchiearm zu organisieren und zu strukturieren – wertschätzende Kommunikation statt patriarchalem Verhalten. Der täglich ernstgemeinte Versuch einer Grenzen überschreitenden, ernst gemeinten Solidarität ist, glaube ich, vor allem das, was Menschen, die unseren aktivistischen Ort besuchen kommen, wahrnehmen und wertschätzen. Unser autonomes Projekte-Zentrum in der hessischen Pampa zieht immer wieder unterschiedlichste Menschen an. Das Gäst_innenhaus erfährt viel Dankbarkeit. Möglich gemacht wird das nur durch ein unüberblickbares Netz an Unterstützenden und Unterstützungen. Und der Organisation dessen. Räume brauchen Strukturen. Freiräume irgendwie auch. Vielleicht sogar mehr, nur halt unsichtbare Strukturen, die von Menschen immer wieder neu erkämpft und verwaltet werden müssen, anstelle von Wänden und Zäunen.

Aktivismus und Eigenfinanzierung

Aber woher kommt diese ganze Verwaltungsarbeit? Wie bin ich in der ehrenamtlichen Sachbearbeitung und im Kampagnenmanagement klima- und sozialgerechter Projekte gelandet? Langfristig in die Verwaltung einsteigen – und das ohne großartige soziale, finanzielle Absicherung? Würde ich keinen Zugang zu geretteten Lebensmitteln haben und müsste mein Obst und Gemüse auch noch im Supermarkt einkaufen, könnte ich kaum Aktivismus machen. Hartz IV würde vielleicht gerade so reichen, wenn ich nicht Zug fahren oder Benzin verbrauchen würde.

Für Mobilität umsonst gäbe es noch die Möglichkeit zu trampen, aber das frisst Unmengen an Zeit und ist tendenziell auch immer weniger akzeptiert, berichten mir auch die, die das schon vor Jahrzehnten gemacht haben.

Hartz IV in seiner momentanen Größenordnung führt zu Immobilität. Und auch Lebensmittel containern können oder Teil von Foodsharing Gruppen zu sein, ist nicht für jede*n ohne weiteres möglich. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit dem sozialen Druck.

Jetzt schreit bestimmt irgendwer nach bedingungslosem Grundeinkommen statt Hartz IV? Wieso müssten wir dem marginalisierten Kind denn eigentlich einen neuen Namen geben? Hartz IV bzw. ALG II ohne Sanktionen und auf Grundniveau 1.000 oder sogar 1.200 Euro? Grundrente soll ja auch kommen.

Wie kommen wir aber schneller als spät zu dem, was wir brauchen? Bürokratische Hürden in der Verwaltung abzubauen und eine wirkliche Grundsicherung unabhängig vom Lebensweg (und natürlich auch von Nationalität oder körperlichen Merkmalen!) aufzubauen – das ist eine Revolution wert! Die Revolution der Verwaltung – klingt voll langweilig. Wer hat Bock, sie anzufachen?

Sie würde Gelangweilten in ihren verwaltenden Bullshit-Jobs einige Arbeit langfristig erleichtern und ihnen Zeit und Horizonte für soziales und aktivistisches Handeln ermöglichen. »Bullshit-Jobs« ist übrigens ein Begriff des Soziologen David Graeber: »Ein Bullshit-Job ist eine Form der bezahlten Anstellung, die so vollkommen sinnlos ist, dass selbst derjenige, der sie ausführt, ihre Existenz nicht rechtfertigen kann, obwohl er sich im Rahmen der Beschäftigungsbedingungen verpflichtet fühlt, so zu tun, als sei dies nicht der Fall.«

Ein sinnvolles Leben ist möglich

Aktivismus will aber gerade von seiner intrinsischen Sinnhaftigkeit leben, glaube ich. Er existiert vor allem in prekären, gemeinschaftlich getragenen Verhältnissen. Ein anderes Leben ist möglich. Es ist gar nicht so viel anders, merke ich bei mir. 1,5 Jahre laufe ich jetzt konstant in aktivistischen Kreisen rum, und eigentlich hab ich mich an alles nach zwei Wochen gewöhnt. In Sachen Lebensstil zähle ich auf den positiven, ökologischen Handabdruck – also lieber aktiv sein statt etwas zu lassen. Mein ökologischer Fußabdruck ist wahrscheinlich ganz okay. Meine Mutter, die mich ständig fragt, wie sie ökologischer leben kann, lebt dabei durch ihre Autolosigkeit ein deutlich weniger Treibhausgas-intensives Leben als ich. Das sage ich ihr auch, und trotzdem macht sie sich ohne Ende Stress, was sie im Supermarkt denn am besten kaufen soll. Diese vermarkteten, verinnerlichten Ideen eines zukunftsfähigen Daseins im globalen Norden – fühlt sich das für die ganzen Bullshit-Jobber echt an, als würden sie etwas »Gutes« tun?

Unterscheidet uns viel voneinander? Ich erinnere mich an Phasen, da hab ich von morgens bis abends durchgearbeitet – manchmal die Nächte durch. Und das ging ganz gut, denn so Vieles war neu. Ich war, glaube ich, verliebt und die Menschen um mich waren auch, warum auch immer, motiviert.

Jetzt gerade fühle ich mich vor allem müde. Beispielsweise die geflüchteten Menschen aus der Ukraine in unserem Projekthaus bei der Integration zu unterstützen, lässt mich fühlen, als wäre ich ein frustrierter Sachbearbeiter – und das nach zwei Monaten. Aktivismus ist das aber auch irgendwie, und das bleibt der wichtigste Teil meiner Selbstidentifikation.

Mein Aktivismus möchte keinen Feierabend

Seit wann ist das eigentlich so ein Ding, dass Aktivist*innen nach einer intensiven, anfänglichen Hochphase fast nur noch Organizing machen und in einer Dauerschleife der Projekte hängen bleiben?

Mein menschliches Umfeld befindet sich in weiten Teilen in einer Art akutem Stadium der Müdigkeit. Die meisten haben irgendwie immer noch Bock, aber sind trotzdem müde. Ausgebrannt? Burnout war für mich immer so eine neoliberale Diagnose, die nur zutreffen konnte, wenn das eigene Tun als sinnlos empfunden wird. Die klimaaktivistische Art von Ausgebrannt-Fühlen nenne ich persönlich daher meistens eher Müdigkeit (durch Stress, Erwartungsdruck und Überarbeitung). Das hilft mir, zu differenzieren.

Mehr Schlafen wäre bestimmt trotzdem eine erste, richtig gute Lösung. Aber oft passieren Sachen halt abends und morgens und dann auch noch den ganzen Tag über, wenn lauter Aktivismus dich umgibt. Liegt ja auch schon im Wort. Burnout als Diagnose höre ich eher von Menschen, denen in ihrem Leben Dinge wie Feierabend, feste Arbeitszeiten, Wochenende und Urlaub wichtig sind und die meistens nie richtig genießen. Brennen die dann eigentlich eher für den Feierabend und den Urlaub, egal ob sie sogar in einem nachhaltig angemalten Job arbeiten?

Feste Arbeitszeiten, das liegt mir fern. Selbst entscheiden zu können, wann und wie viel ich arbeite oder mich weiterbilde, ist einer der Hauptgründe für mich, dass ich Bock habe, weiterzumachen. Und führt nicht dazu, dass ich irgendwie weniger arbeiten würde. Ich vermute mein Seelenheil nicht im Urlaub am Meer oder in der Rente oder im Feierabend-Getränk. Diese Trennung, diese Entfremdung, diese innere Kluft zwischen Leben und Arbeit will ich nicht. Ich will spannende Projekte finden, mitmachen und sie langfristig vorantreiben für den sozial-ökologischen Wandel. Die Menschen vom Jobcenter können das leider nicht in ihre Formulare einfügen. Und da hört bei den Sachbearbeitenden, den Schnittstellen des gesellschaftlich Möglichen, meist die Kreativität oder der Wille auf. Ich könnte das nicht. Ich würde kündigen oder zusätzlich Aktivismus machen. Und das machen ja auch einige. Die sind wahrscheinlich noch mehr am Rande ihrer Ressourcen, aber sie brennen weiterhin für die langfristigen Ziele.

Ist nachhaltig und langfristig eigentlich das Gleiche? Langfristig aktiv werden in der Umweltzerstörung, in Tradition oder Fremdenhass? Das geht ja schon. Es ist also nicht das Gleiche. Aufgefangen werden von dieser schönen Einfachheit. Von diesen Versprechen einer »besseren« Welt, die du verstehen kannst.

Die Zukunft bleibt unerwartet

Ich glaube, mit den vielen reflektierenden Prozessen im Gäst_innenhaus sowie insgesamt in aktivistischen Kontexten, Prozesse und Projekte inklusiv und transparent zu gestalten, machen sich Menschen halt schon tendenziell mehr Arbeit. Aber das ja auch bewusst. Und langfristig kommen dann immer wieder ein paar Menschen dazu, die dann auch wirklich für die Sache brennen. Menschen mit einem intrinsischen Drang danach, eine lebenswerte, nachhaltige Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Ich glaube, das ist nicht einfach nur Ideologie oder Angst oder Selbstgerechtigkeit. Zumindest bei den meisten.

Ich dachte, ich steige nur langfristig in den Klimaaktivismus ein. Jetzt ist auch noch Organizing, Vernetzung und Geflüchteten-Hilfe dazugekommen. Und in diesen Bereichen bin ich nicht allein. Da ist aber auch eine kritisch zu betrachtende Reproduktion vom entfremdenden System von Aufstieg und Erfolg, das wir ja eigentlich verlassen wollten. Das Hamsterrad braucht weiterhin Auswege, Freiräume und Verbindungen zu den anderen Rädern. Es ist halt alles verbunden. Es ist aber nicht einfach alles eins. Es ist viel zu kompliziert und ich werde niemals die eine, einfache Lösung für irgendetwas finden. Ich möchte aber weiter versuchen, das gemeinsame Suchen nach Lösungen bedürfnisgerechter und gerechter an sich mitzugestalten. Es steht uns allen frei und ist mehr als gewünscht, Pausen zu machen. Das tun nur leider die Motoren der fossilen Zerstörer nicht genug. Würden die sturen Investor*innen der Klimakrise mal ein paar Gänge runterschalten und sowieso weniger Entscheidungsgewalt zugeschrieben bekommen, hätten die Klimaaktivist*innen auch deutlich weniger Arbeit.

Titelbild: Garten für autonome Projekte im Gäst_innenhaus Dannenrod. Foto: Tom Zeder

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