Ältere Leser*innen werden sich noch erinnern: Für viele Jahre hieß diese Kolumne »Elis Corner«. Elisabeth Voß, die großen Anteil daran hat, dass die CONTRASTE ihr 40-jähriges Jubiläum erleben kann, schrieb dort aus persönlicher Sicht über aktuelle Themen. Nach ihrem Ausscheiden aus der CONTRASTE-Redaktion übernahmen Uli Frank und ich diese Aufgabe. Wir standen vor der Herausforderung, einen Namen dafür zu finden. Die Zeit und die Koordination drängten, wir überlegten am Telefon, es fiel uns nichts ein. »Uli, was siehst du gerade?«, fragte ich. Uli stand gerade mit dem Auto auf einem Parkplatz und wartete auf eine Freundin. »Eine Wiese mit Maulwurfshügeln« war seine Antwort. So kam diese Kolumne zu ihrem Namen: »Der Blick vom Maulwurfshügel«. Wir dachten dabei an Graswurzelbewegungen und einen Blick darüber hinaus, aber doch nicht von so hoch, dass man die Graswurzeln übersehen kann.
Nun lese ich in der Schweizer WOZ ein Interview mit dem Philosophen Daniel Loick über dessen neues Buch »Die Überlegenheit der Unterlegen«, erschienen 2024 im suhrkamp Verlag. Überrascht erfahre ich, dass der Maulwurf der Held dieses Buches sei. Das weckte mein Interesse und so lese ich weiter, der Maulwurf sei eigentlich ein revolutionäres Tier! »Er wühlt beharrlich, untergräbt starre Strukturen, macht den Boden locker, bringt ihn vielleicht sogar zum Beben. (…)Vielleicht ist es im Untergrund also gar nicht so ungemütlich, wie viele meinen, sondern sogar interessanter als am Licht.«
Es folgt der Hinweis, dass bereits Marx die Metapher des Maulwurfs als Bodenbereiter für die Revolution verwendet habe. Meine Recherchen ergeben: Tatsächlich, im 18. Brumaire beschreibt Marx die langsamen, verborgenen Vorbereitungen der Revolution und meint, wenn die Vorarbeit vollbracht sei, »wird Europa von seinem Sitze aufspringen und jubeln: ›Brav gewühlt, alter Maulwurf!‹« Nun, diese Prophezeiung ist nicht in Erfüllung gegangen, das wissen wir heute. Der Maulwurf jedoch gräbt, so meint zumindest Daniel Loick, fleißig weiter. In einem Beitrag vom Deutschlandfunk zum Thema heißt es: »Denn wenn der Maulwurf eines verkörpert, dann das Prinzip Hoffnung, auch in Zeiten der Finsternis. Also gräbt er weiter, noch immer vergeblich, aber mit guter Zuversicht.«
Gerade zu unserem Jubiläum gefällt uns der Vergleich. Beharrlichkeit, Ausdauer und Zuversicht machten es möglich, im Anschluss an alte linke Tradition und gleichzeitig am Puls der Zeit. Wir wühlen weiter, schauen manchmal aus unserem Hügel heraus, um den Überblick nicht zu verlieren. Wir suchen weiterhin im Untergrund nach dem »Neuen im Alten«. Schreiben weiterhin über die alltäglichen Revolutionen an den Graswurzeln unserer Gesellschaften und übernehmen gerne die Rolle der Hoffnungsträgerin. So wie es Larissa von den Frankfurter Gemüseheld*innen im Interview in der September-CONTRASTE gesagt hatte: »Jedes unserer Projekte ist ein Leuchtfeuer, das ganz weit strahlen kann.«
Brigitte Kratzwald