Fleisch frisst Land

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten stößt auf immer breiteren Widerstand. Es soll die weltweit größte Handelszone begründen, doch der Vertragsentwurf gilt bei KritikerInnen als Frontalangriff auf die bäuerliche Landwirtschaft, auf Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz – und zwar auf beiden Seiten des Atlantik. Derweil nehmen in Brasilien unter dem rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro die Übergriffe auf indigene Dorfgemeinschaften drastisch zu.

PETER STREIFF, REDAKTION STUTTGART

Fast zwanzig Jahre schon verhandelte die Europäische Union mit dem Mercosur über die Beseitigung von Handelsschranken im Rahmen eines umfassenden Assoziationsabkommens. Auf Seiten des Mercosur nahmen Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay an den Gesprächen teil.

Für Landwirtschaft, Menschenrechte, Umwelt-, Klima- und Verbraucherschutz wäre die Einführung des Abkommens jedoch ein massiver Rückschlag – und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. »Die bisher bekannt gewordenen Vertragsentwürfe übertreffen die Befürchtungen der Zivilgesellschaft«, fasst Power-Shift, das handels- und rohstoffpolitische Bündnis einiger größerer deutscher NGOs, die Kritik zusammen.

Nur noch Rohstofflieferant

Beispielhaft an den Plänen für die Lebensmittel- und Futtermittelindustrie zeigt Power-Shift auf, wie für die Mercosur-Staaten nur noch die Rolle eines möglichst billigen Rohstofflieferanten übrig bleiben soll: »Für das internationale Agrobusiness und die Lebensmittelindustrie stellt das Mercosur-Abkommen einen der wichtigsten Handelsverträge der EU dar. Denn der Löwenanteil der europäischen Agrar- und Lebensmittelimporte entfällt auf diesen südamerikanischen Verbund. Diese Einfuhr summiert sich alljährlich auf einen Wert von 20 Milliarden Euro. Sollte es zum Abschluss (und zur späteren Ratifizierung, d. Red.) des Abkommens kommen, könnte der Anteil des Mercosur an den gesamten Lebensmittelimporten der EU bis 2025 von derzeit 17 auf 25 Prozent anschwellen, so die Berechnungen des EU-Forschungsdienstes. Der transatlantische Sojahandel stellt zudem einen der wichtigsten Absatzkanäle für gentechnisch veränderte Organismen (GVOs) dar. In Brasilien entfallen 96 Prozent der Sojaanbaufläche auf genmanipulierte Pflanzen, in Argentinien sogar 99 Prozent.

Doch damit nicht genug. Der Mercosur entwickelt sich zugleich zu einem der größten Fleischexporteure der Welt, was sich auch auf dem europäischen Markt widerspiegelt. 73 Prozent der Rindfleischimporte und 56 Prozent der Hühnerfleischimporte in die EU stammen aus dem südamerikanischen Verbund. Das geplante Abkommen soll die gehandelten Fleischmengen nochmals massiv steigern. Damit aber steigt auch der Verbrauch der umweltschädlichen Gentech-Soja im Mercosur.«

Zusätzliche Klimabelastung

Sowohl die Art der Verhandlungsführung als auch die drohende zusätzliche Klimabelastung durch das Abkommen kritisiert auch Eva Desseffwy, handelspolitische Referentin der Arbeiterkammer (AK) Wien, in ihrem Blogbeitrag (s. Infos): »Die EU-Kommission hat sich mit dem Mercosur über den Abschluss der Verhandlungen geeinigt, obwohl noch gar keine aktuellen Analysen über mögliche Auswirkungen des Abkommens vorliegen. Offen bleibt damit unter anderem, wie sich das Handelsabkommen auf Umwelt, Beschäftigung, Menschen- und Verbraucher*innenrechte auswirkt. Auch die Wirkung der zu erwartenden Importe aus dem Mercosur und deren Effekte auf einzelne Branchen bzw. auf die beteiligten Volkswirtschaften als Ganze bleiben damit offen.

Bekannt ist nur das Vorhaben selbst, nämlich dass derzeit hohe Zölle, wie etwa auf Autos, Maschinen, Chemikalien, Pharmazeutika, Wein oder alkoholfreie Getränke, beseitigt werden sollen. Die Zölle von 91 Prozent aller zwischen der EU und dem Mercosur gehandelten Waren sollen abgebaut werden – in Summe soll das vier Milliarden Euro an Zolleinsparungen für die europäische Exportwirtschaft ergeben.

Das Abkommen wird jedoch weit über ein klassisches Zollsenkungsabkommen hinausgehen. Dafür sorgen etwa die getroffenen Vereinbarungen über die Liberalisierung von Dienstleistungen und die öffentliche Auftragsvergabe sowie Themen wie Subventionen, geistige Eigentumsrechte, Lebenssicherheit, technische Regulierungen und Standards und der Zugang zu Rohstoffen.

Die EU-Kommission brüstet sich damit, dass das Abkommen neben steigenden Exportchancen für die EU hohe Standards fördern würde. Beide Handelspartner würden sich dazu verpflichten, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen. Doch in Wirklichkeit ebnet die brasilianische Regierung unter Präsident Bolsonaro mit dem Abkommen vor allem den mächtigen Vieh- und Sojakonzernen den Weg, die die Abholzung des weltweit größten Regenwaldes beschleunigen. Im brasilianischen Amazonasgebiet legte die Abholzung im Januar 2019 – dem ersten Monat von Präsident Bolsonaros Amtszeit – laut Angaben des Forschungsinstituts Imazon um 54 Prozent im Vergleich zum Jänner 2018 zu.

Ungewohnt scharfe Kritik

Dass das nun vorliegende Abkommen nicht nur die Existenz von KleinbäuerInnen in Südamerika, sondern auch beispielsweise in Österreich gefährden würde, haben sogar Vertreter der bürgerlichen österreichischen Volkspartei (ÖVP) erkannt. So befürchtet laut einem Beitrag des österreichischen Rundfunks (orf) der Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger, dass »Südamerika noch mehr Geflügelfleisch, Ethanol, Zucker und auch Rindfleisch liefern könne als ursprünglich befürchtet«. Und die Leidtragenden eines solchen Vertrages würden »die europäischen Bauernfamilien, der Klimaschutz und die Umwelt in Europa wie auch in Südamerika sein«, ergänzte der verärgerte Bauernbund-Präsident Georg Strasser.

Gegen den Wahnsinn der Globalisierung

Kritisiert wird das Abkommen auch von Initiativen, die in regelmäßigem Kontakt mit den indigenen Völkern und KleinbäuerInnen in Brasilien stehen wie beispielsweise der Verein POEMA mit Sitz in Stuttgart. Er verfolgt seit Jahren das Ziel, dass »die Menschen am Amazonas sowie die Wälder, in denen sie leben, eine Zukunftschance haben.«

Damit dies auch in Zukunft möglich ist, setzt sich POEMA gemeinsam mit den Menschen am Amazonas dafür ein, »dass die Wälder und damit auch das Klima geschützt, ihre Lebenssituation verbessert, ihr Land gesichert und ihre Menschenrechte beachtet werden.« In breit abgestützten Kooperationen realisiert der Verein seit Jahren verschiedene Projekte im Bereich Bildung, Solarenergie, Trinkwasserversorgung (vgl. Bild) und Wiederaufforstung in Amazonien.

Vor diesem Hintergrund beleuchtete Gerd Rathgeb von POEMA in einem Redebeitrag bei der Stuttgarter Montagsdemo (bei der es nicht nur um den Widerstand gegen Stuttgart21 geht) die Entwicklung der letzten Jahre in Brasilien. Ausgerechnet mit dem rechtsextremen neuen Präsidenten Brasiliens, Bolsonaro, wolle die EU ihre unsägliche Handelspolitik mit Hilfe des Mercosur-Abkommens fortsetzen.

Rathgeb kritisiert den Vertragsentwurf, der das Ziel habe, »noch mehr Rindfleisch, Zucker und Soja aus Südamerika in die EU zu importieren und im Gegenzug noch mehr Autos von VW und Daimler, sowie Ackergifte von Monsanto nach Südamerika zu liefern. Welch ein Irrsinn! Wir produzieren mehr Fleisch als wir brauchen, exportieren den Überschuss nach Afrika und beziehen gleichzeitig noch mehr aus Südamerika, wo Wälder gerodet und das Land mit Monsanto-Giften überzogen wird. So wird der Wahnsinn der Globalisierung und dieser Handelsverträge buchstabiert.«

Wir müssten die Notbremse ziehen, fordert Gerd Rathgeb, und den Abschluss dieses Abkommens stoppen. Dies sei möglich, da die 28 Mitgliedstaaten und das Europaparlament den Vertrag noch billigen müssten. Es sei also noch nicht alles verloren.

Denn Brasilien und insbesondere Amazonien würden uns zeigen, »wie wir mit der Welt verflochten sind und wie alles mit allem zusammenhängt. Geographisch ist Brasilien weit weg, ökonomisch aber sehr nah. Die Regenwälder haben eine große Bedeutung für das Weltklima – und das Weltklima wird unsere Welt radikal verändern, wenn wir nicht heute damit anfangen, die Wälder zu schützen und grundlegende Veränderungen in Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft durchzusetzen. Nur wenn wir daran glauben, dass weniger Konsum ein Mehr an Lebensfreude, Solidarität und Gerechtigkeit weltweit bewirken kann, wird uns dies gelingen.«

Mehr Infos:

Kurze Faktenpapiere zum EU-Assoziationsabkommen mit dem Mercosur: Download unter www.awblog.at/eu-mercosur-handelsabkommen, sowie unter www.power-shift.de > Mercosur

Zusammenhang von »Klima – Umwelt –Brasilien« einschließlich dem EU-Mercosur-Abkommen in der Rede von Gerd Rathgeb (POEMA) auf der 473. Montagsdemo am 22. Juli: www.bei-abriss-aufstand.de > POEMA

Projekte von POEMA (»Pobreza E Meio ambiente na Amazônia«, deutsch: Armut und Umwelt in Amazonien): www.poema-deutschland.de

Foto: POEMA Deutschland

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