Die STRAZE — mehr als ein Haus

Das Initiativenhaus STRAZE in der Stralsunder Straße in Greifswald ist aus der Idee entstanden, in einer Region, die viele als abgehängt betrachten, etwas zu tun, was als unmöglich gilt.

Torsten Galke, Greifswald

Wie lässt es sich selbstverwaltet, solidarisch und weltoffen leben und arbeiten in einer Gegend, in der die rechtsextreme AfD ihre besten Ergebnisse einfährt (46,8 Prozent in Peenemünde) und sich alte und neue Nazis in den schon unter Hitler angeregten Siedlungsräumen engagieren? Seit der Wende kämpft das Flächen- und Agrarbundesland Mecklenburg-Vorpommern (MV) mit dem »Braindrain« (dtsch. »Talentschwund«), der massenhaften Abwanderung von gebildeten Fachkräften, vor allem Frauen, die in die Metropolen oder besser gestellten Regionen wie Süddeutschland oder in die Schweiz gehen. Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sind fast vollständig wegautomatisiert worden. Industrie gibt es so gut wie nicht. Nur der Tourismus funktioniert einigermaßen, aber auch dort werden die Arbeitskräfte schlecht bezahlt.

Freies Feld für Rechtsextreme

In dieser Leere gibt es eine Renaissance der völkischen Siedlerbewegung, die als Handwerker, Biobauem und -bäuerinnen zurück aufs Land gehen, weg von der Moderne in den Städten, welche »die deutsche Kultur zersetzt«. Parallel entwickelte die NPD eine Strategie: nämlich, die fehlende kulturelle Infrastruktur mit ihren Inhalten zu ersetzen, Jugendklubs zu unterwandern, Ar- beitslosenberatung anzubieten und Volksfeste zu organisieren. Rechtsrockkonzerte, Wehrsportgruppen und rechte Jugendarbeit haben hier über Jahrzehnte gewirkt und einen Raum geschaffen, in dem Andersdenkende, Anderssprachige oder sexuell anders orientierte Menschen offen angefeindet oder angegriffen werden. Rassistische Ressentiments gegen Migrant*innen sind bei großen Teilen der Bevölkerung verbreitet. Pöbeleien und Hetzjagden sind in MV nicht mit den 1990er Jahren verschwunden (Rostock Lichtenhagen), sondern sind seit 2015 wieder massiv angestiegen. Dabei gibt es in MV kaum Ausländer*innen, sondern mit nur 4,6 Prozent den geringsten Anteil an ausländischen Mitbürger*innen in ganz Deutschland.

Faschistisch denkende und handelnde Gewalttäter*innen werden in Mecklenburg-Vorpommern nicht als solche benannt und ausgegrenzt, sondern kontrollieren einige so genannte »national befreite Zonen«. Darüber hinaus gibt es bewaffnete rechte Gruppen, die Kampfsport und den Umgang mit Waffen trainieren und auf den Augenblick warten, in dem der Staat die Kontrolle verliert. Ein solches Netzwerk, mit einer »Feindesliste« von mehr als 25.000 Adressen, ist 2017 aufgeflogen – die Prepper-Gruppe »Nordkreuz«. Die Liste der hier mehr oder weniger im verborgenen agierenden neofaschistischen Organisationen ist lang. Sie geht von Combat 18, Blood and Honour und diversen Kameradschaften bis hin zu Studentenverbindungen und den Identitären. Vom brutalen Schläger bis zum Rechtsintellektuellen.

Der 8. Mai

Immer wieder treten diese Gruppen auch in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Sie organisieren Demonstrationen oder, wie jährlich am 8. Mai in Demmin, einen Trauermarsch für die Opfer des Massensuizides Ende April 1945. Gegen die Täter-/Opferverkehrung und den Aufmarsch von 200 bis 300 Neonazis engagieren sich seit vielen Jahren zivilgesellschaftliche Gruppen wie Gewerkschaften, Schüler*innen und die Evangelische Kirche. Seit 2008 wiederholen die Neonazis dieses geschichtsrevisionistische Ritual. Anfangs standen ihnen nur einige Dutzend Personen gegenüber. Die Polizei entwickelte im Lauf der Jahre ganze Strategien, von Gewalteinsätzen bis großflächigen Absperrungen, um den Nazis ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit einzuräumen. Aber durch den jahrelangen anhaltenden Protest sind heute am 8. Mai hunderte Menschen in der Stadt, um gemeinsam den »Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus« zu feiern. Das alles und noch vieles mehr konnte nur durch dauerhaftes gemeinsames Engagement erreicht werden.

David gegen Goliath

Ein Ort, an dem sich viele solche Initiativen in Greifswald treffen, ist die STRAZE. Im Jahr 2006 versuchten linke, sozial/ökologisch engagierte Student*innen und Vereine, ein Haus in der Stralsunder Straße 10 der damaligen Eigentümerin, der Universität Greifswald, abzukaufen. Der Kanzler sagte ihnen »egal an wen sonst, aber an diese Linken werde er das Haus nicht verkaufen«. Er suchte sich einen Investor, der versprach, dass das Haus auf jeden Fall saniert würde. Nach dem Kauf 2008 aber beantragte dieser relativ zügig den Abriss und stellte einen Bebauungsplan vor, der nur noch lukrative Eigentumswohnungen vorsah. Genau solche Abläufe führen in vielen Städten dazu, dass die Mietpreise steigen und es an bezahlbarem Wohnraum fehlt. Glücklicherweise stand das Haus in der Stralsunder Straße unter Denkmalschutz und die Behörde verweigerte ihm den sofortigen Abriss. Daraus erwuchs ein Kampf von David gegen Goliath: eine lokale Bürger*inneninitiative gegen einen international vernetzten Investor mit Rückendeckung aus der CDU-regierten Stadt.

Es gab viel medialen Rummel und die CDU konnte nicht verhindern, dass die Öffentlichkeit sich hinter das Haus und die Bürger*inneninitiative stellte. Nach vier Jahren geriet der Investor durch einige andere nicht bezahlte Grundstücke, die er von der Stadt erworben hatte, sehr unter Druck. Daraufhin war die Stadt bereit, die Abwicklung eines Verkaufs an die Bürgerinitiative zu organisieren. Es sollte im Vorfeld die Kaufsumme von 350.000 Euro innerhalb von drei Monaten nachgewiesen werden. Die Initiative schaffte dies und damit begann etwas, das der Stadtregierung nicht geheuer war.

Mit dem Verlauf der Sanierung und den unübersehbaren Fortschritten lässt sich das scheinbar Unmögliche nicht mehr leugnen. Eine linke solidarische Gemeinschaft kann ein so gewaltiges Projekt stemmen und 2.000 qm Nutzfläche sanieren und bespielen. Wider Erwarten funktioniert es. Neben der Arbeit am Haus haben viele auch klar die politische Entwicklung der letzten Jahre im Auge behalten und sind aktiv im Kampf gegen extrem rechts: Das heißt sowohl Jugendarbeit, Schulprojekte, klassische Aufklärungsarbeit oder Organisierung von linken Bündnissen gegen Naziaufmärsche, gegen die lokale Pegida oder die AfD. Dabei wurde die STRAZE auch schon mehrmals Opfer von Brandanschlägen, was dazu führte, dass es hier jetzt eine sehr moderne Brandmeldeanlage gibt.

Prinzip der Solidarität

Kapitalismus, Zerstörung der Umwelt, geopolitische Verwerfungen, Fluchtursachen, Krieg und vieles mehr sind Themen, an denen die verschiedenen Initiativen in der STRAZE arbeiten. Das Prinzip der Solidarität steht hier über allen anderen und wird im Handeln und Wirken in eine breite Öffentlichkeit getragen – die STRAZE selbst ist auf diesem Prinzip aufgebaut. Ohne die Hilfe von hunderten Freiwilligen und der Großzügigkeit vieler Spender*innen und Darlehensgeber*innen wäre dieses Projekt gar nicht möglich gewesen.

Natürlich ist das Haus nur ein Vehikel, ein Ort der Begegnung, an dem eine andere Perspektive auf die Welt sichtbar gemacht werden soll, wenn es dann einmal fertig sein wird. Aber auch schon während es noch entsteht, finden hier regelmäßig Veranstaltungen und Feste statt. Neuerdings fragte sogar das Stadttheater nach, ob sie unsere Räume nutzen könnten, wenn diese später bereit sind. Da allgemein die räumliche Situation für linke Gruppen in Greifswald ziemlich prekär ist, gibt es viele Projekte, die in der STRAZE mitmachen. Viele von uns machen Bildungsarbeit an Schulen über z.B. Ökologie, Migration und Ernährung. Es gibt jeweils eine offene Näh-, Holz- und Druckwerkstatt, einen Film- und Theaterclub, eine Bibliothek und eine Kneipe. Auch regionale Abteilungen von bundesweiten Organisationen sind in der STRAZE zu finden, sowie lokale Soligruppen von und mit Geflüchteten. Aus all diesen Initiativen haben sich Menschen zusammengeschlossen, welche die treibende Kraft bei der Sanierung des Hauses und mittlerweile bereits Bewohner*innen des Hauses sind. Dafür steht die STRAZE: ein bunter Haufen, der sich nicht damit abfindet, dass Kultur nur kommerziell ist, staatlich gelenkt wird oder von rechts kommt.

Um möglichst unabhängig in diesem Umfeld arbeiten zu können, freuen wir uns über Unterstützung und Spenden auch aus anderen Regionen, denen das Schicksal einer auf dem Randstreifen der Geschichte liegengebliebenen Ecke Deutschlands nicht egal ist.

Erstveröffentlichung in Archipel 281, Mai 2019

Das könnte für dich auch interessant sein.